Der Schachspieler
Kelch.«
Eine Stunde später verstand Cady immer noch nicht, wie ihm die Situation so dermaßen hatte aus der Hand gleiten können, als er mit dem aufgebrachten Rex an der Leine und einem leeren Plastikbeutel in der linken Hand zum Haus zurückkehrte.
Mrs. Kelch hatte das Gesicht verzogen, als er ihr mitteilte, dass Bret Ingrams Witwe gern mit ihr sprechen würde. Dorsey hatte widerstrebend zugestimmt, und Cady kam mit der aufgeregten Terri Ingram zurück und stellte die beiden Frauen einander vor.
Wie vereinbart fragte er Mrs. Kelch, ob er ihre Toilette benutzen dürfe, weil er auf der langen Fahrt Kaffee getrunken habe. In der Toilette schaute Cady aus dem Fenster in den Garten, in dem Marly Kelch einst mit ihren Freundinnen gespielt hatte. Unter dem Picknicktisch lag der Dackel, so wie beim letzten Mal, als Cady hier war. Leider hatte auch der Hund ihn bemerkt und begann sogleich zu kläffen. Cady trat vom Fenster weg, bis der Dackel mit dem Gebell aufhörte. Rex konnte Cady offensichtlich immer noch nicht leiden. Das Gefühl beruhte durchaus auf Gegenseitigkeit.
Cady hörte Stimmen aus dem Wohnzimmer, konnte aber nichts verstehen. Es war vor allem Terri, die sprach, während Dorsey nur knapp und einsilbig antwortete. Cady hörte Terris Stimme stocken, deshalb öffnete er die Badezimmertür, tat so, als würde er sich die Hände waschen, und kehrte ins Wohnzimmer zurück.
»Ist alles in Ordnung?«, hatte Cady gefragt, in der Erwartung, dass das Gespräch zwischen den Frauen beendet war.
Dorsey Kelch nickte kurz. Er wandte sich Terri zu, die, ohne dass es Mrs. Kelch bemerkte, zur Tür deutete. Eine stumme, aber wenig subtile Aufforderung, ihr mehr Zeit zu geben. Die Botschaft war angekommen.
»Entschuldigen Sie mich, ich muss mal kurz telefonieren«, sagte er und ging zum Buick hinaus.
Im Auto hörte Cady die Voicemail ab: nur eine Nachricht von Agent Evans, der die Liste der Partybesucher noch einmal durchgehen und Verwandte und Freunde von Dane Schaeffer genauer unter die Lupe nehmen wollte. Cady fragte sich, ob Jund hinter Agent Evans’ Angebot stand.
Cady kramte in seiner Aktentasche nach Agent Drommerhausens altem Profil des Chessman und blätterte zu dem Abschnitt, an dem der Schachexperte Agent Hiraldi mitgearbeitet hatte:
»Der Täter spielt auf meisterlichem Niveau und ist dem Gegner immer einige Züge voraus. Seine Strategie ist schnell und überfallsartig. Der Durchschnittsspieler geht eher vorsichtig zu Werke, weil er schon manche Niederlage erlebt hat, wenn er zu ungestüm vorging. Ein großer Spieler weiß genau, wann er zum Sturmangriff übergehen kann. Er erkennt die Schwachstellen des Gegners und nutzt sie gnadenlos aus.«
Cady betrachtete den leeren Kaffeebecher von der Tankstelle und merkte jetzt erst, wie dringend er wirklich auf die Toilette musste. An der Haustür kam ihm Dorsey Kelch entgegen, übergab ihm den Dackel an der Leine und einen Hundekotbeutel und bat ihn, mit Rex Gassi zu gehen. Dorseys Augen waren rotgerändert. Durch die Tür sah er Terri mit Tränen im Gesicht im Wohnzimmer sitzen. Cady nahm die Leine, den bellenden Dackel und den Beutel und ging. »Rex hat nicht gemacht?«, fragte Mrs. Kelch erstaunt, als Cady mit dem leeren Beutel zurückkam und sie dem Hund die Leine abnahm. »So spät am Vormittag funktioniert es sonst immer.«
Cady öffnete den Mund, sagte jedoch nichts.
»Oh, mein Gott, Dorsey«, sagte Terri. »Schauen Sie sich sein Gesicht an. Rex hat gemacht, aber der G-Man hat es nicht aufgesammelt.«
»Du meine Güte«, sagte Dorsey. »Ich hoffe, es war nicht hier in der Nähe. Die Nachbarn kennen Rex alle.«
»Ich muss auf die Toilette«, sagte Cady.
Er sprintete fast über den Flur, weg von den kichernden Frauen, und fragte sich erneut, wann genau ihm die Situation entglitten war.
»… und Marly arbeitete zwischendurch immer als Kellnerin im Sea Shack, weil sie das Trinkgeld gut gebrauchen konnte«, erzählte Mrs. Kelch. »Mike Dean, der Inhaber, kennt die Familie aus der Kirchengemeinde, und Mike ließ Marly die Abendschicht übernehmen, wenn sie zu Hause war. Im Sea Shack ist es immer voll.«
Cady warf einen Blick auf die Namen, die er notiert hatte. »Wir haben Dean auf der Kirchenliste.«
Dorsey lächelte. »Mike ist fast achtzig.«
»Hat er Söhne?«
»Nein.«
»Sie haben gesagt, Marly hat private Tennisstunden gegeben, aber hauptsächlich für Mädchen, ist das richtig?«
»Sie hat ihrem alten Highschoolcoach Curt Wently
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