Der Schachspieler
Sarg. Jedenfalls hatte der Unbekannte, ganz Gentleman, den Kofferraumdeckel offen gelassen, sodass Banning herauskonnte.«
»Was ist schon eine kleine Entführung und die Bedrohung mit einer tödlichen Waffe, wenn sich bereits die Leichen stapeln?« Assistant Director Jund sprach langsam und so leise, dass sich alle Agenten am Konferenztisch vorbeugten. »Der Irre spielt mit uns.«
Es war still im Raum. Cady biss sich auf die Unterlippe und schwieg. Liz Preston war in diesem Fall SAC – Special Agent in Charge –, und er würde sich ihr unterordnen. Zumal er in dieser verfahrenen Situation froh war, nicht an ihrer Stelle zu sein.
»Ich hatte vor der Sitzung ein Gespräch mit Drew, und wir stimmen in drei Punkten überein«, sagte Preston in die Stille. »Erstens: Der Chessman lebt. Wir betrachten Dane Schaeffer und Bret Ingram nun als Mordopfer. Dazu passt, dass am Ingram-Tatort in Cohasset, Minnesota, ein gläserner Bauer zurückgelassen wurde. Wir sind uns ziemlich sicher, dass Ingram die Zalentine-Brüder und wahrscheinlich auch den Abgeordneten Farris gedeckt hat, weil sie in den Tod von Marly Kelch vor 13 Jahren am Snow Goose Lake verwickelt waren.«
»Suggestio falsi «, sagte der Assistant Director in die Runde. »Suppressio veri .«
»Einen falschen Eindruck erwecken, indem man wichtige Informationen zurückhält«, übersetzte Agent Liz Preston laut.
»Eine Lügengeschichte«, ergänzte Cady, »damit niemand erfährt, was wirklich am Snow Goose Lake passiert ist.«
»Und deshalb war Bret Ingram der Erste, an dem sich der Chessman gerächt hat. Er hat das Spiel mit einem Bauern eröffnet, denn Ingram war das erste Opfer, nicht die Dame, also K. Barrett Sanfield, wie wir ursprünglich dachten. Zweitens«, fuhr Liz Preston fort, »stimmen Drew und ich darin überein, dass ein Nachahmungstäter des Chessman für die Morde an Gottlieb und Kellervick verantwortlich ist.«
»Welche Verbindung gibt es zwischen Gottlieb und Kellervick?« , fragte der AD.
»Die einzige Verbindung, die wir bis jetzt entdecken konnten, ergibt sich aus einer Konferenz vor fünf Jahren, auf der Gottlieb Hauptredner und bei der Kellervick auch anwesend war«, las Agent Schommer von ihrem Notizblock ab. »Doch Kellervicks Kollegen, die die Konferenz mit ihr besuchten, sagen, sie hätten sich Gottliebs Rede geschenkt und sich stattdessen einen flüssigen Lunch genehmigt.«
»Sagen uns die Schachfiguren etwas? Sanfield und Gottlieb bekommen eine Dame, Ingram und Kellervick sind Bauern?«
»Copycat oder nicht«, meldete sich Tom Hiraldi zu Wort, der Schachexperte, den man ebenfalls wieder beigezogen hatte, »es ist ein neues Spiel. Der Abgeordnete Farris – der König – wurde vor drei Jahren auf tödliche Weise schachmatt gesetzt. Mit Gottlieb hat ein neues Spiel begonnen.«
»Was ist Ihr dritter Punkt, Liz?«
»Drew und ich glauben, dass der Original-Chessman aus der Versenkung aufgetaucht ist, um seinen Nachahmer zu jagen.«
»Das heißt, der erste Chessman verfolgt den Copycat von Washington bis Boston und gibt sich dabei als Special Agent Drew Cady aus, um dem Bureau den Stinkefinger zu zeigen. Das ist ungefähr so demütigend wie für einen Schüler, wenn man ihn auf dem Schulhof vor den Mädchen verprügelt.« Jund schloss die Augen, als könnte er damit alles verschwinden lassen. »In den oberen Etagen verfolgen sie die Ermittlungen sehr aufmerksam und werden langsam ungeduldig. Sogar der Präsident hat ein Auge auf die Sache. Sie machen mir mächtig Dampf, und die Situation wird jeden Tag ein bisschen ungemütlicher.«
Angespannte Stille im Raum.
Jund öffnete die Augen. »Was will er mit Elaine Kellervicks Dateien?«
»Er sucht irgendwelche Anhaltspunkte«, meinte Special Agent Fennell Evans. »Wir stellen gerade eine Liste von Kellervicks Kunden zusammen. Sie war jedoch mehr die Analystin hinter den Kulissen und hatte nicht viel Kundenkontakt. Wir gehen jedenfalls ihre Unterlagen durch. Albert Banning ist nicht gerade begeistert, aber ich hab ihm versichert, dass unsere Buchprüfer zu ihm in die Firma kommen und er ihnen zusehen kann, wenn er will. Ich hab ihm klargemacht, dass die Kundendaten von Koye & Plagans streng vertraulich behandelt werden.«
»Es sei denn, es kommt was ans Licht«, warf Jund ein.
»Genau«, stimmte Evans zu.
»Unsere forensischen Buchprüfer sehen sich auch Ingrams Kaufvertrag für das Sundown Point Resort ganz genau an«, fügte Cady hinzu. »Ingram kaufte die Ferienanlage mit
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