Der Schachspieler
verwirrt.
»Er legte diese Prüfungen ab, machte spezielle Kurse und schaffte es tatsächlich, mehrere Klassen zu überspringen und im gleichen Jahrgang wie Marly die Highschool abzuschließen. Jakey war ein kleines Genie. Peter und ich haben uns für ihn eingesetzt, damit er an die Reading Central Catholic kam. Lorraine war ein bisschen skeptisch wegen der Religion, aber sie wusste, dass ihr Sohn hochbegabt war, und fürchtete, er könnte im öffentlichen Schulsystem untergehen. Er war herausragend in Mathe und Englisch und ein richtiges Wunderkind in den Naturwissenschaften. An der Central Catholic hatte es noch nie ein Kind wie ihn gegeben. Er hat bei jeder Prüfung hervorragend abgeschnitten und musste sich nicht mal anstrengen.«
»Wirklich beeindruckend.«
»Trotzdem tat er mir ein bisschen leid damals in der Highschool, und das nicht wegen seiner … familiären Situation – dass er keinen Vater zu Hause hatte –, sondern weil er irgendwie nicht ganz dazugehörte. Wissen Sie, bei ihm ging die Entwicklung so schnell. Zu schnell, wenn ich jetzt zurückschaue. Jakey konnte mit fünfzehn auch körperlich mit den Älteren mithalten, er war ein großartiger Sportler – ein Ringer –, aber trotzdem innerlich ein empfindsamer Fünfzehnjähriger inmitten junger Männer. Jakey war zwar in der zwölften Klasse, aber als Mensch war er noch nicht in der zwölften Klasse angekommen, wenn Sie verstehen, was ich meine. Ich glaube, Marly hat ihm seine schwierige Situation ein bisschen leichter gemacht.«
»Er hat sie geliebt, nicht wahr?«, fragte Terri.
»Ich glaube, in Marly hatte Jakey zum ersten Mal so etwas wie einen Freund gefunden. Vielleicht zum einzigen Mal. Hier bei uns war Jakeys zweites Zuhause. Wir haben immer ein bisschen mehr gekocht für den Fall, dass er kommt. Die zwei waren schon ein komisches Gespann, lagen vor dem Fernseher oder spielten irgendwelche Spiele: Dame, Schiffe versenken, Monopoly oder dieses KerPlunk-Spiel mit den Kugeln. Und natürlich Tennis, jeden Abend auf dem Schulplatz. Marly hatte wirklich Talent, und Jakey sah sich jedes Spiel von ihr an, zumindest die Heimspiele, und feuerte sie an. Ja, Terry, um auf Ihre Frage zurückzukommen: Jakey liebte Marly von ganzem Herzen. Sowohl anfangs wie auch später.«
26
A ber Jake Westlow lebt nicht mehr«, sagte Terri. »Das führt die Ermittlungen doch in eine Sackgasse.«
Sie saßen an einem Tisch in der Trattoria Nicola, dem italienischen Restaurant des Hotels. Die Fahrt zurück nach D. C. war recht angeregt verlaufen, ganz anders als die Hinfahrt nach Reading. Terri hatte mitgehört, als Cady seine Kollegin Agent Preston anrief und ihr berichtete, was er über die restlichen Namen erfahren hatte.
»Wir sehen jedenfalls ein ganz bestimmtes Muster, Terri. Der Tod Ihres Mannes ist als Unfall getarnt. Dane Schaeffers Tod sieht nach Selbstmord aus. Wenn Westlow der Chessman war, dann hätte er gewusst, dass er sich der Verfolgung am besten entziehen kann, indem er seinen eigenen Tod vortäuscht.«
»Trotzdem wäre es auch möglich, dass er sich wirklich umgebracht hat. Manche Leute sind eben intelligenter, als für sie selber gut ist. Sternschnuppen verglühen schnell. Marly stirbt einen tragischen Tod, Jakes Mutter einen langsamen, schmerzhaften Tod. Plötzlich ist er ganz allein auf der Welt.« Terri nahm einen Schluck aus ihrem Glas Pinot Nero. »Wahrscheinlich ist er nie drüber hinweggekommen, dass die Liebe seines Lebens so jung gestorben ist.«
»Das ist das wahrscheinlichste Szenario. Ein kurzer Blick auf den Autopsiebericht wird die Frage klären. Wenn alles hieb- und stichfest ist, gehen wir weiter und sehen uns an, was Marlys Tennistrainer und die drei anderen Namen in der Zwischenzeit gemacht haben.« Cady stocherte mit der Gabel in den übrig gebliebenen Pilzravioli. »Ich bin stolz auf Sie, Terri. Es war sicher viel Mumm nötig, um Dorsey Kelch zu besuchen. Ich glaube nicht, dass ich das fertiggebracht hatte.«
»Sicher hätten Sie, G-Man. Sie hätten es nur auf Ihre eigene Art getan.«
»Haben Sie ihr die Ferienanlage angeboten?«
»Kurz bevor Sie mit Rex zurückkamen. Dorsey lachte und sagte, sie hätte nicht die geringste Ahnung, was sie mit einer Ferienanlage in Minnesota anfangen soll.«
»Haben Sie erreicht, was Sie sich erhofft hatten?«
»Ich hab eigentlich gedacht, ich würde mich besser fühlen.« Terri zuckte die Achseln. »Wahrscheinlich sind wir alle irgendwie wie offene Wunden auf der Suche nach der
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