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Der Schacht

Der Schacht

Titel: Der Schacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David J. Schow
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braune Stahlhaken, an dem er sich gestoßen und das Ohr aufgerissen hatte, war mehrere Zentimeter tief in Glibber eingebettet. Das Zeug war wahrscheinlich Schnee und Dreck von der Decke, eine Masse, die aufgrund der Wärme des Hauses getaut und herabgeflossen war. Falls Jonathan weiterhin Batman spielen und das überleben wollte, dann musste er sich bei seinen nächsten Schritten besser vorsehen. Aber Vorsicht kostete Zeit. Jamaica sah ihm zu. Er wollte vor ihr keine schlechte Figur machen.
    Er fand seine Fußstützen wieder und wühlte sich ein wenig hinein, um den Schmier zu durchdringen und einen festen Halt auf dem Metall zu haben, bevor er wieder sein volles Gewicht auf das Seil legte. Seine Atmung beruhigte sich. Ganz ruhig. Ganz ruhig. Es ging ihm gut. Er öffnete die Augen.
    Er war zweieinhalb oder drei Meter unter dem fahlen gelblichen Licht des Badezimmerfensters zum Halten gekommen. Jamaicas Kopf war nur in Umrissen erkennbar. Ihr Gesichtsausdruck ließ sich von hier unten nicht erkennen; sie schien zu ihm herunterzusehen. Ihr Haar war ein von hinten erleuchteter grauer Heiligenschein.
    »Die Badewanne hat sich bewegt«, raunte sie zu ihm herunter.
    Er hing jetzt stabil. Diesmal ging es besser. Die Blendwirkung des Lichts aus dem Fenster verschwand, und er konnte jetzt ölige Tropfen erkennen, die langsam nach unten wanderten, aus ihrem Halt gelöst durch die Erschütterungen seines Abstieges. Sie erinnerten ihn an das kalte schmierige Gel, in dem man Corned Beef einlegt. Hier hatte es noch Luftblasen innen drin und die Farbe von Nikotin. Vielleicht lag das aber auch nur an dem gelblichen Licht, dass von oben kam. Er tastete sich abwärts und streckte seinen Fuß aus, suchte einen Halt. Kadong!
    Noch ein paar der Schleifen, und er konnte seine Arme vielleicht auf dem Fensterbrett von Nr. 107 abstützen, direkt unter ihm. Es war mitten in der Nacht, und der alte Griesgram unter ihm müsste eigentlich tief und fest vor sich hin schnarchen.
    Hand um Hand ließ er sich hinab. Es war einfacher an den Stellen, wo das Kabel nicht an der Wand entlanggerutscht und zugeschmiert worden war. Er versuchte den Fall so zu berechnen, dass seine Stiefel lautlos auf dem Sims auftrafen. Er hing an seinen angespannten Armmuskeln und ließ sich Zentimeter um Zentimeter weiter hinab.
    Seine Zehenspitzen streiften das Sims und fegten Müll hinunter. Langsam strich er mit dem Fuß darüber. Er hörte, wie die Mörtelreste und die Steinbrocken in das Wasser unter ihm platschten. Ihm kam eine unangenehme Vorstellung: Wie er den Boden erreichte und bis zum Hals in einer weichen, schmatzenden Masse versackte. Das fehlte ihm gerade noch.
    Er klemmte die Hacken gegen das Sims und ließ die Hände langsam das Kabel hinunterwandern. Er kauerte sich hin. Seine Knie knackten wie durchbrechende Karotten. Aus der Dunkelheit des Fensters strömte ein kalter Luftzug. Der Schweiß auf seinem Rücken wurde eisig kalt. Hier war kein Badezimmerfenster. Anhand der Splitter schloss er, dass das Fenster mit Gewalt von innen herausgeschlagen worden war.
    Jonathan war zu sehr mit seiner Mission beschäftigt, als dass er sofort den Todesgeruch von geöffneten Leichen und vergossenem Blut bemerkte. Unter sich erkannte er das schwache Glitzern von Wasser, dessen Tiefe nicht auszumachen war. Er konnte fühlen, wie sich die Schlingen auf der ganzen Länge immer weiter zuzogen, während er hier hockte. Es war Zeit für einen kurzen Blick. Diesmal brauchte er zwei Schlingen, um seinen Unterarm zu sichern; seine Handschuhe waren nass und das Kabel wie geölt. Es versuchte, ihm durch die Hand zu rutschen, zog sich dann aber doch fest. Er richtete den 9-Volt-Scheinwerfer nach unten, um zu sehen, was auf ihn wartete.
    Grünliche Schimmelfasern ballten sich auf allen Seiten des Schachtes zusammen, zweidimensionale Stalagmiten, die sich an dem korrodierten Stahl hochrankten. Jonathan dachte an Höhlenmalereien. Die floureszierenden Ausläufer rangierten in der Farbe von oxidiertem Kupfer bis zu Batteriesäureweiß direkt unter seinem Ausguck. Wahllose Wellenmuster spielten auf der Oberfläche des brackigen Wassers. Irgendwo über ihm rauschte eine Toilette, ein entferntes Dröhnen mit einem Nachhall aus den Abflussrohren. Am entfernten Ende des Tümpels – seiner Kalkulation nach am Südende – sah er eine Insel aus Gerümpel. Diverser Schutt, heruntergefallener Abfall und menschlicher Unrat hatten sich auf einer Seite des Schachtes angesammelt und bildeten einen

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