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Der Schacht

Der Schacht

Titel: Der Schacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David J. Schow
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Fisch, den man in Motoröl getaucht hatte. Seine einzige Möglichkeit, hier herauszukommen, führte durch 107. Das Appartement schien leer, was immer auch da vorher abgegangen sein mochte.
    Aber das viele Blut.
    Er rief sich selbst wieder zur Ordnung. Feigling, Waschlappen. Seine Ohren schmerzten, so fest biss er die Zähne aufeinander.
    Die Lampe an seinem Gürtel brannte immer noch. Der Schlamm war noch nicht ganz durchgedrungen, aber der Strahl begann zu flackern. Er wusste, dass die Streichhölzer in seinen Hosentaschen jetzt nass und nutzlos waren.
    Tempo.
    Mit der einen Hand befreite er die Plastiktüte von ihrem Haken und knotete sie in eine der Schlingen. Nachdem er dreimal an dem Kabel gezogen hatte, wie mit Jamaica ausgemacht, ließ er sich auf dem Haufen nach hinten gleiten, die Füße weit auseinander, die Arme in Kreuzstellung weit ausgebreitet auf der Suche nach den Ecken. Jamaica zog ihre Beute hoch, und Jonathan hoffte, dass er nicht tiefer als bis zur Hüfte in dem Schlamm versinken würde.
    Die Tasche drehte sich um sich selbst. Sie blockierte den Lichtschein von oben und tropfte auf ihn herab. Jonathan sank nicht tiefer, aber er fühlte deutlich, wie unsicher sein Halt war. Er bewegte sich ganz vorsichtig, um die Lampe aus dem Wasser zu heben.
    Der Schlamm bewegte sich in trägen Wellen und brach das künstliche Licht der Lampe wie fluoreszierende Farbe. Auf der Seite des Schachtes, in der auch das zerbrochene Fenster von 107 war, konnte Jonathan gerade noch einen dicken Streifen aus vernietetem Eisen ausmachen. Direkt in Höhe der Wasserlinie. Vielleicht war das ein zugeschweißtes Kellerfenster oder ein geheimer Durchgang von Fergus. Vielleicht verkroch er sich nach hier unten, um Tauben zu vergiften und Schulkinder zu missbrauchen.
    Der Klumpen neben seinem linken Stiefel zerfaserte schneller als heiße Butter. Seine Hände versuchten, sich an rostigem Metall festzuhalten, rutschten aber immer wieder an dem braunen Gel ab. Trotzdem hielten sie seinen Absturz ein paar Sekunden auf. Die Lampe ging wieder unter. Jetzt reichte ihm die Wasserlinie schräg über die Brust, vom Ansatz seines Rippenbogens auf der rechten Seite bis zum Schulterblatt auf der linken Seite. Seine linke Hand tastete nach etwas Festem und fischte einige Holzstückchen heraus, die so mit Wasser vollgesogen waren, dass sie untergingen, sobald er sie wieder losließ. Seine Finger schlossen sich um etwas Härteres, Zylindrisches, Glattes. Ein provisorischer Gehstock, der ihn davor bewahrte, noch mehr Kloake zu schlucken. Er fühlte einen Knauf am einen Ende. Im Licht sah er, dass es sich um einen Knochen handelte, porös und glänzend. Eine Speiche – der längere der beiden Unterarmknochen. Irgendwann mal war dieser Knauf der Ellbogen von jemandem gewesen. Von jemandem mit Armen, die ungefähr so lang gewesen waren wie die von Jonathan. Das hier waren nicht die Überreste einer Ratte oder einer ertrunkenen Katze.
    Er hielt den Atem an.
    Bei fast jeder neuerlichen Bewegung würde er jetzt wieder kopfüber in die Brühe rutschen, und er hatte nicht vor, auf diese Weise zu enden – ganz gewiss nicht. Sein Körper verharrte unbeweglich inmitten widerstreitender Emotionen. Eigentlich wollte er um sich schlagen und schreien und so schnell hier heraus, wie seine Gliedmaßen ihn nur tragen konnten. Er konnte seine Nase nur davon abhalten, diarröische Scheiße einzuatmen, weil er auf dem Skelett von einem Unbekannten stand. Vielleicht waren da sogar noch ein paar weitere Leichen, die sich gerade überlegten, ob sie nach den gummibesohlten Stiefeln und dem lebendigen Fleisch über ihnen greifen sollten.
    Er hörte, wie das verknotete Verlängerungsseil an die Schachtseiten stieß und sich wieder zu ihm heruntertastete. Noch zehn Sekunden, und er könnte es sich schnappen, bis zum ersten Stock hochwieseln und dann einfach nur im Volltempo an dem vorbeirennen, was immer da herumstreunen mochte, um ihn vor Angst in die Klapsmühle zu treiben.
    Er ließ den Knochen fallen. Der versank. Er hatte die kranke Farbe trüber Augen gehabt, verschmiert durch das dreckige Wasser. Zähe kleine Fasern von verrottetem Fleisch hingen immer noch daran. Als er die Augen schloss, konnte er den Knochen immer noch sehen, wie er zu einem gelben Klumpen am Rand seines Sichtfeldes verlief.
    Das Wasser bewegte sich aus eigenem Antrieb, die Wellen rollten heftig auf Jonathans Gesicht zu und überfluteten sein Kinn und seine fest zusammengepressten Lippen. Es

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