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Der Schacht

Der Schacht

Titel: Der Schacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David J. Schow
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anzuhören. Verdammter Mist. Stallis schraubte die Lautstärke auf das Minimum herab. Der LCD-Anzeiger wanderten weiter über die Skala.
    Es war zu kalt, um sich hinzulegen. Wenn er jetzt versuchte, eine Mütze voll Schlaf zu kriegen, dann würde er als Eisblock in der Leichenhalle von St. Judes wieder aufwachen. Drei Uhr schien überhaupt nicht näher zu kommen. Nach der Schicht heute würde er dann vom Tag- zum Nachtdienst wechseln. Er hatte dann um drei Feierabend und müsste erst um Mitternacht des folgenden Tages wieder anfangen.
    Er hatte sich so auf Little Oral Angie gefreut.
    So mitten in der Nacht reflektierten die eisigen Hügel aus frischem Schnee das Licht strahlend weiß. Tornados aus Schneegestöber verringerten die Sichtweite auf null. Selbst wenn er nur das Abblendlicht verwendete, konnte Stallis kaum ein paar Meter weit sehen. Die Straßenlaternen strahlten mit all ihrer Kraft, und trotzdem waren sie für ihn unsichtbar, er sah nur ihr gedämpftes Licht, an und aus, wie Wolken, die an den Fenstern eines Jets vorbeiziehen. Bei Fernlicht wurde er von seinem eigenen Licht geblendet. Er dachte an den ewigen Schnee auf hohen Bergen. An frischen Schnee in den jetzt schon kaum geräumten kleinen Straßen.
    Es war einfach zu kalt, um jetzt noch auf der Straße zu sein, selbst für Kriminelle. Er war sich nicht einmal sicher, in welche Straße er eingebogen war, bis er Jamaicas mitgenommenen Honda Civic sah, der halb in einem wachsenden weißen Hügel verschwunden war. Er beugte sich herüber, um einen Blick aus dem Beifahrerfenster zu werfen, und blickte auf den Garrison Street Eingang des Kenilworth Arms.
    Das war doch eine Idee.
    Wenn Jamaica sich heute Nacht im Kenilworth herumtrieb, dann hatte das bestimmt etwas mit der Razzia zu tun, an der Stallis teilgenommen hatte. Vielleicht rotteten sich die Dealer jetzt zusammen, oder dieser Scheißhaufen Bauhaus hatte angeordnet, hier die Zelte abzubrechen. Rückzug und Neuformierung. Stallis mochte dieses Spiel; Dealer und ihre dämlichen Hintermänner waren immer so durchschaubar. Er könnte sagen, er hätte verdächtige Aktivitäten bemerkt, um sein Eingreifen zu rechtfertigen. Wenn Jamaica drin war, würde sie sich mit Freude in sein steifes Bajonett stürzen, wenn sie damit bloß dem Knast, dem Ärger und weiteren Einträgen in ihr Strafregister entgehen konnte. Sie würde sich in den Arsch ficken lassen und dabei jaulen wie ein Schoßhündchen, wenn er es ihr befahl.
    Er stieg aus, gürtete sein Holster und zog den Reißverschluss seines hochgeschlossenen, wärmeisolierten Anoraks zu. Oben ein grimmiges Lächeln, unten eine geladene Waffe. Stiff upper lip, stiff lower tip. Reinholtz wiederholte diesen Spruch immer wieder.
    Gardinen flatterten wild aus einem offenen Erdgeschossfenster. Eines der Eckfenster. Innen drin war es vollkommen dunkel, und bei dem Wetter war anzunehmen, dass das Fenster kaputt war. Wenn irgendwer da drin war, dann hätte er mittlerweile das Fenster zugemacht, dachte Stallis. Selbst bei diesem gottverfluchten Wetter sah das nach Einbruch aus. Vielleicht sogar Raubmord!
    Beim Militär und später bei der Polizei hatte Stallis eine Menge Tote gesehen. Er hatte auch zwei oder drei Personen selbst getötet; je nachdem, was man noch als Person durchgehen ließ. Der Tod, so grübelte er, war eine der Sachen, die ihn abgehärtet hatten – und wegen denen es bei ihm nicht mehr hart wurde.
    Liz konnte ihm sowieso gestohlen bleiben. Frauen sind dazu da, um ihren Männern zur Seite zu stehen.
    Er stapfte zu dem Fenster und stellte fest, dass das Fensterbrett mehr als einen Meter über seiner Augenhöhe war. Von hier aus konnte er nichts Verdächtiges bemerken. Sollte er Meldung erstatten? Sollte er sich die Mühe machen?
    Der wilde Tanz des Sturmes überdeckte jedes andere Geräusch. Er fasste nach dem Sims und zog sich herauf, um einen kurzen Blick zu erhaschen. Die einfachste Möglichkeit war, dass es sich um eine unbewohnte Wohnung handelte, deren Fenster vom Sturm eingedrückt worden war. Seine Stiefel dröhnten gegen das Mauerwerk, und seine Utensilien klapperten. Das ging alles im Heulen und Pfeifen des Sturmes unter. Der Schnee prasselte ihm so heftig gegen die Wangen, dass Stallis sich fragte, ob er jetzt vielleicht blutete.
    Er schwenkte seine Stablampe im Kreis. Das Erste, was er registrierte, war Blut, eine Menge Blut, das quer durch den ganzen Raum verschmiert war, so als wäre ein großer Kanister davon von einem betrunkenen

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