Der Schacht
Reihe von Eisboxen in Kopfhöhe vorbei, die in die Wand eingebaut sind. Die meisten davon sind vernagelt. Die eine oder andere lässt sich immer noch öffnen und schließen. Sie wurden zu einer Zeit gebaut, als der Eismann noch seine Lieferungen machte. Dank dieser Klappen musste er nicht die gewaltigen tropfenden Blöcke über das wertvolle Küchenlinoleum schleppen.
Die Eisboxen haben schon lange keine Funktion mehr. Keiner hat hier noch Linoleumböden.
Weil das Kenilworth so oft umgebaut worden ist, weicht die Verteilung der Zimmer deutlich von den ursprünglichen Bauplänen ab. Heute ist es ein chaotisches Durcheinander von »Studios« und »Einliegerwohnungen«, durchzogen von vernagelten Durchgängen, Fenstern, deren hochgezogene Jalousien den Blick auf Bretter oder Ziegelsteine freigeben, und Innenwänden, die plötzlich unerwartete Winkel und Ecken haben. Boner muss zwei Türen aufschließen, um in 307 zu gelangen. Die erste besteht aus dünnem Sperrholz, Jahrzehnte jünger als die ursprünglichen Kassettentüren des Hauses. Sie führt auf etwas hin, das früher einmal der Flur eines großen Einzimmerappartements war. Wenn man sie öffnet, dann versperrt die Tür die kleine Öffnung völlig. Boner muss sich um sie herumzwängen und sie schließen, bevor er weitergehen kann. An jedem Ende des Flurs ist eine weitere Tür, gesichert mit einem klobigen Knaufschloss, das nicht mehr als Zierrat ist. Boner kann das mit einem Kamm knacken. Hinter der entfernteren Tür lebt eine mollige, agile Frau, die Katzen hält und, wie Boner vermutet, einen Teilzeitjob als Telefonistin hat. Es hat ihn nie genug gekümmert, um sie zu fragen. Was würde das bringen? Wie für die meisten anderen auch, ist das Gebäude für ihn nur ein Zwischenstopp. Von hier aus ziehen die Leute entweder in eine bessere Gegend weg oder sie verschwinden im fernsehgrauen Nichts.
Boners Nachbarin hatte die Hälfte des ehemaligen Appartements bekommen, dort, wo mal die Küche war. Er bekam die Hälfte mit dem Badezimmer. Nicht der schlechteste Deal. Was ihr als Badezimmer zur Verfügung steht, ist wahrscheinlich ein grässlicher Behelf, und Boner kann Kochen sowieso nicht ausstehen. Statt einer Küche hat er einen zusätzlichen Abstellraum. Bei den großen Eckfenstern, von denen er einen Ausblick auf die Kreuzung zwischen der Garrison und der Kentmore Avenue hat, steht zu vermuten, dass zu seinem Teil der Wohnung auch das ursprüngliche Wohnzimmer gehört.
Er muss Gewalt anwenden, um seine eigene Wohnungstür zu öffnen. Sie klemmt heute noch mehr als gewöhnlich – so als ob der Rahmen beschlossen hätte, sich überall ein paar Zentimeter zusammenzuziehen.
Innen klickt der Lichtschalter, aber nichts passiert. Fergus, der Hausmeister – oder eben »der Gebäudeverwalter« – hat wieder herumgebastelt und zu viele Geräte auf einmal angeschlossen. Der Sicherungskasten ist im untersten Flur, vor dem Waschkeller. Das ist schon so häufig passiert, dass Boner sich gar nicht mehr richtig aufregt, und bevor er das Licht wieder in Gang bringt, muss er erst einmal pinkeln. Boner glaubt, dass das Dope seine Blase schrumpfen lässt. Müsste so ungefähr die Größe einer Schachtel Luckies haben.
Im Bad stinkt es. Wie Ammoniak oder kalter Hamburger – wie verstopfte Toilette. Klasse! Wenn die Abflussrohre zugefroren sind, dann müssen die Eisklumpen mit Schneidbrennern aufgetaut werden. Wenn die Abfluss- und die Elektroprobleme zusammenhängen … dann, ja dann könnte dieser ganze Zunderhaufen morgen der Vergangenheit angehören. Ein gutes altes Feuerchen würde bestimmt jedermanns Arsch anheizen.
Boners aquamarinblaue Augen passen sich der Dunkelheit an, als er sich um die Ecke tastet. Die Fensterflügel auf der anderen Seite des Zimmers sind matte weiße Rechtecke, von hinten durch die Kombination von Straßenlaternen und angestrahltem Schnee erleuchtet. Boner kann schattenhaft die Umrisse seines Betts sehen, seiner Ankleidekommode, seines Ghettoblasters und sogar den des kompakten kleinen Radiators, der an eine zurzeit nutzlose Steckdose angeschlossen ist.
Im Badezimmer herrscht ein silbriges, diffuses Licht. Boner weiß, dass das Fenster neben der Badewanne nicht nach draußen führt. Das Licht, das er sieht, ist ein Nachflimmern, so wie das Hintergrundflackern eines Blitzlichts, aber schwach und kalt mit einem organischen Anklang, der ihn erst an tote Glühwürmchen und dann an Geister denken lässt.
Boners Blase schreit nach Erleichterung. Er
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