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Der Schacht

Der Schacht

Titel: Der Schacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David J. Schow
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Eisglätte einsetzte. Sie rutschten wie auf Skiern in eine kleinere Nebenstraße. Gepflegte kleine Häuser verkrochen sich gegen den Schnee in zwei parallelen Reihen, die sich perspektivisch an irgendeinem Punktjenseits von Jonathans Sichtfeld trafen. Ein Bild wie auf einer Weihnachtskarte, mit dem kalten Licht der Fernseher, die jedes Wohnzimmerfenster erhellten. Das Leben der Fernsehglotzer, die Ruhe des blutleeren bläulichweißen Fleisches, die Verkrustung der Todesstarre.
    Die Allee, in die Bash den Wagen lenkte, wurde durch eine einen halben Meter hohe Schneewehe abgeriegelt. In dem düsteren Licht sah sie aus wie eine Betonmauer. Reifen hatten sich hindurchgearbeitet, und die Spuren waren schon wieder zur Hälfte verweht. Das verstärkte Fahrwerk des Toyota fräste sich hindurch. Jonathan überlegte, wie frustrierend das mit einem normalen Auto sein musste; als ob man durch hüfthohes Wasser joggen wollte. Bash legte den ersten Gang ein und ließ die Kupplung schleifen, um eine steile Auffahrt zu nehmen, die zu seinem Parkplatz auf einem Parkdeck führte. Der Stellplatz war dem Wetter ausgeliefert. Der Platz, in den Bash den Wagen hineinbugsierte, bildete einen Vorsprung einige Meter vor dem Rest des Gebäudes. Das führte dazu, dass jeder Wagen hier eine dicke Lage Schnee auf dem Dach angesammelt hatte, dreißig bis vierzig Zentimeter Minimum.
    »Gestern waren die Reifen auf dem Beton angefroren«, sagte Bash. »Es war zum Verrücktwerden. Ich habe den Wagen schließlich losgekriegt, indem ich den Wagen aufgebockt und die Reifen losgekloppt habe.«
    Er schlug seine Hände zusammen und erzeugte so ein Echo von der anderen Seite der Garage. »Man kann nun mal nirgends hinfahren, wenn sich die Räder nicht drehen.«
    Als Jonathan versuchte, die Tür zu öffnen, versuchte der Wind, sie wieder zuzudrücken. Er starrte die Tür leicht überrascht an. Er versuchte es erneut, half jetzt aber auch noch mit dem Fuß nach.
    Über ihnen ragte das Appartementgebäude fünf Stockwerke hoch. Und noch mehr Fernsehlichter aus Fenstern, die mit Kondenswasser beschlagen waren.
    »Sind wir da?«, fragte er.
    »Home, sweet home.« Bash rollte seine großen braunen Augen. »Willkommen in der Hölle.«

5.
    »Willkommen im Paradies, Fremder. Du musst Cruz sein.«
    Die Corvette trug mindestens achtzig Lackschichten mit sich herum; sie sah aus, als sei sie in blutrotes geschmolzenes Glas getaucht worden. Cruz versuchte, durch den Fensterspalt zu linsen.
    »Ich bin Bauhaus, und ich hasse es, mehr Zeit unter dem Plebs zu verbringen, als unbedingt nötig.« Die Stimme wurde von einem warmen Luftzug durch den Spalt begleitet. »Verstehst du mich? Spring rein, bevor dir die Eier abfrieren.«
    Cruz warf seine NIKE TEAM-Tasche vor dem Sitz auf den Boden, faltete seine Beine darum herum und zwängte sich in den niedrigen Schalensitz. Wasser sammelte sich auf der Gummi-Fußmatte. Die Heizung der Corvette war voll aufgedreht, und bald sammelte sich das Kondenswasser auch in seinen Haaren. Erst steif gefroren und jetzt tropfnass.
    »Allmächtiger! Junge, falls du vorhast, eine Zeit lang in diesem Klima zu überleben, dann müssen wir dir einen Mantel besorgen.«
    Bauhaus streckte ihm eine gepuderte Hand entgegen, der Schwielen unbekannt waren. Er selbst war groß und blässlich. Cruz sah Armani-Manschetten, die in einem großen Trenchcoat mit einem breiten Pelzsaum verschwanden. Der Typ trug wahrscheinlich sogar bunte Seidenunterwäsche.
    Cruz versuchte, seine Hände unter den Achselhöhlen zu wärmen, und nickte zustimmend. Er wollte zurück nach Florida, zurück zu Rosie und zu seinen Bowlinghemden. Er legte keinen Wert auf neue Freundschaften. Die Corvette löste sich aus der Parkzone und driftete hinaus auf die Straße. Cruz’ Zähne klapperten. Bauhaus zog seinen unerwiderten Händedruck zurück und sah kurz auf die Straße vor ihnen. Er tat so, als konzentriere er sich aufs Fahren. Der Innenraum des Wagens stank nach teurem Rasierwasser.
    Als die Zähne endlich zu klappern aufhörten, begann seine aufgeplatzte Lippe zu pochen. Die Wärme ließ auch den Schmerz auftauen. Er stampfte mit den Füßen auf den Fußboden, um die Blutzirkulation wieder anzuregen, und nach kurzer Zeit fühlten auch seine Füße sich an, als würde Säure durch seine Adern gepumpt. Seine Nase lief. Als er hochzog, merkte er, dass der Schnodder die Temperatur von Eiscreme hatte. Es war einfach widerlich.
    Bauhaus griff hinüber und öffnete das Handschuhfach.

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