Der Schacht
Damit gab er den Blick auf mehrere Papiertaschentücher frei. Cruz sah außerdem einen wilden Haufen von CDs und etwas, das der Knauf eines Revolvers sein konnte.
Als Cruz sich die Nase schnäuzte und danach wieder durchatmete, fragte Bauhaus: »Na, fühlst du dich jetzt wieder menschlicher, Kleiner?«
Es würde sich nicht vermeiden lassen, mit Bauhaus zu reden. Wie Rosie jetzt sagen würde: Es war nur zu seinem Besten.
»Geht so«, sagte Cruz. »Warum nach Chicago?« Er hatte sich das die ganze Zeit gefragt. »Und nennen Sie mich nicht ›Kleiner‹.« Nachdem sein Schnurrbart jetzt der Vergangenheit angehörte, war er sogar noch empfindlicher geworden, was sein Aussehen anging.
»Sorry. Habe dich wohl auf dem falschen Fuß erwischt.« Bauhaus wühlte in den Taschen seines Mantels. Mit jeder Bewegung wogte eine erneute Parfümwolke durch den Wagen. Cruz’ Augen brannten, dann begannen sie zu tränen. »Eine Thai-Zigarette?«
Cruz nahm sie an und entzündete sie mit dem Zigarettenanzünder. Nachdem er sich das Pulver durch die Nase gejagt und den Alkohol im Flugzeug getrunken hatte, genoss er jetzt die Marihuanazigarette. Das war auch eine Art, warm zu werden. Bauhaus verzichtete, als er den Stick herüberreichen wollte, und zog einen verchromten Flachmann mit einer imitierten Dekogravur und einer angelaufenen Delle im Verschluss hervor. »Ich habe meine eigene Heizung.« Er nahm einen Schluck und kicherte in sich hinein.
Komischer Knabe, dieser Bauhaus.
Sie sausten an einem angestrahlten Willkommensschild mit der Unterschrift des amtierenden Bürgermeisters in meterhohen Neonbuchstaben vorbei. Nach ein paar Kilometern stadteinwärts schnaufte Bauhaus und sagte: »Okay, ich werde dir verraten, warum Chicago, Klein … ich meine, Sir.«
Das hörte sich noch übler an. Vor seinen Augen sah Cruz Chiquita fallen, rot auseinanderplatzen und sein Leben ruinieren.
»Ich hatte einen anderen Jungen … Mann, wollte ich sagen. Einen Verteiler namens Jimmy McBride. Machte seine Runden im Sommer auf Rollerskates, gottverdammt. Voll übler Knabe. Sitzt zurzeit ein, weil er irgendeiner dreizehnjährigen Gans aus Oakwood ein Blag angehängt hat. In Oakwood nehmen sie den Aschermittwoch noch ernst, Kumpel. Kannst du dir vorstellen, was das heißt? Kein Alkohol. Kein bisschen Humor. Ein Verstoß gegen die Bewährungsauflagen ist da schlimmer als Kannibalismus. Der allerletzte Dreck. Es war denen scheißegal, dass die blöde Kuh sich total mit peruanischem Pot und Diätbier abgeschossen hatte. Sie und Jimmy haben es viermal auf dem Wohnzimmertisch ihrer Eltern getrieben, einem Familienerbstück. Mama und Papa haben sie dann beim fünften Mal erwischt. Da hatte sich die Göre schon einen dicken Bauch eingefangen – wird wohl nicht so ganz weiß werden, wenn wir uns recht verstehen. Mama und Papa, fromme, alteingesessene Mitglieder der Kirchengemeinde, haben keine Ahnung, wie sie den Namen ihres Lieblings je wieder reinwaschen sollen. Vielleicht sperren sie sie ja in ein Kloster, sobald sie geworfen hat. Sie haben Geld, sie haben einen untadeligen Ruf in der Gemeinde und sie sind prominent genug, dass ich es mir nicht leisten kann, meine Beziehungen spielen zu lassen. Deswegen wird der arme Jimmy für eine Weile in den Knast gehen, denn selbst wenn ich ihn da rauskriegen würde, könnte ich ihn nie wieder in Oakwood einsetzen … und die Footballmannschaft der Oakwood Highschool braucht nun mal ihren Stoff, damit sie dieses Jahr den Aufstieg schafft. Verdammt, Mann, ich habe im letzten Jahr fünfzig Riesen allein durch Wetten mit den Jungs gemacht. Hat die Karre bezahlt, in der du jetzt gerade herumgondelst.«
Cruz hielt seinen Marihuanazug in der Lunge und grinste.
»So, was glaubst du, wer ruft mich da an und hat eine Lösung für mein Problem? Na los, rate.«
»Rosie.« Rosie hatte ein Händchen für Logistik, er kriegte es hin, dass etwas, das an einem Ort nutzlos war, an einem anderen wirklich wichtig werden konnte. Rosie hatte von der Lücke erfahren, die in Bauhaus’ Lieferkette entstanden war, und er hatte – effizient, wie er war – Cruz dahin geschickt, wo er sinnvoller war als im Golf von Mexiko als Guppyfutter.
»So, jetzt solltest du dich so weit aufgewärmt haben, dass wir uns unterhalten können. Wir werden zusammenarbeiten müssen, du und ich. Die Arbeit hier wird dir gefallen. Das ist nicht so hektisch wie in der Drogenszene in der Großstadt. Es gibt nicht so viele Latinos hier. Und es hält dir nicht
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