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Der Schacht

Der Schacht

Titel: Der Schacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David J. Schow
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gewesen. Mario spielte – noch nicht stubenrein oder sprachfähig – auf dem Flur im dritten Stock des Kenilworth, eingepackt in Windeln, einem mit Essensresten bekleckerten T-Shirt und winzigen Turnschuhen mit reflektierenden Sohlen. Er war ziemlich dreckig, aber das war nicht die Schuld seiner Mutter. Er war zwar noch nicht alt genug, um die Inschrift auf seinem gebrauchten T-Shirt zu lesen, die besagte: ICH BIN EIN KLEINER STINKER, aber er versuchte trotzdem, sich an diese Maxime zu halten.
    Als er Stiefelschritte und Stimmen auf der Treppe hörte, gab er ein blubberndes Wimmern von sich und zog sich zur offenen Tür von 314 zurück. Er versäumte es nie, um Ecken zu linsen. Da war ein Spalt in der Tür, also linste er hindurch.
    Sein Papa hatte gesagt, der böse Mann sei ein Chingon, aber Mario hatte das Wort nicht behalten. Er sah schneeverklebte Schuhe und schwarze Kleidung. Der Mann blickte links und rechts den Flur hinunter, bevor er einen Schlüsselbund hervorkramte. Mario hörte die Schlüssel und begehrte sie augenblicklich mehr als alles andere auf der Welt. Gut geschützt in seinem Versteck imitierte er die Bewegungen, die der böse Mann mit den Schlüsseln machte. So glänzend, so unerhört laut. Die dünne Sperrholztür auf den Flur hinaus machte ein hohles Geräusch, als der böse Mann sich um sie herumschlängelte. Als sie sich wieder schloss, flitzte eine dünne schwarze Katze heraus, gerade noch rechtzeitig, bevor ihr der Schwanz amputiert wurde. Die Tür fiel ins Schloss. Die Katze blickte sich schnell um, hielt mitten in der Bewegung inne, setzte sich hin und begann sich zu lecken, für den Fall, dass jemand zusah.
    Mario vergaß sofort, dass der Schlüsselring jemals existiert hatte, und Visionen einer gato negro beherrschten den besitzergreifenden Teil seiner Gedanken.
    Normalerweise, wenn Mario beschloss, dass irgendetwas ihm gehören sollte und nur ihm alleine, und er dann auf Widerstand stieß, dann gab er ein Geschrei von sich, das die Hirnzellen zum Kochen bringen konnte. Und dann der Frontalangriff: Hände hoch erhoben, Bauch ausgestreckt und so lange Schreien, bis man keine Luft mehr bekam. Sein charakteristischer Galopp ließ den dritten Stock klingen, als beherberge er die größten und lautesten Ratten in ganz Oakwood. Wann immer Mario wach war, rannte er, und wann immer er rannte, quiekte er.
    Seine Mutter, genervt von der unkontrollierten Zerstörungswut ihres Erstgeborenen, wenn es um die paar guten Erbstücke in ihrem winzigen Appartement ging, die in seiner Reichweite waren, hatte Mario schließlich im Flur herumlaufen lassen. Sie ermahnte ihn, nie in die Nähe der Treppen zu gehen – als könne er die Konsequenzen begreifen. Der Aufzug stellte keine Gefahr da. Er funktionierte sowieso nie, und die Türen im dritten Stock schienen immer geschlossen. Mario frei herumlaufen zu lassen war ein Kompromiss. So war er zwar meistens ruhig, aber sie musste ungefähr einmal pro Minute nachsehen, ob der Grund seines Schweigens nicht der plötzliche Kindstod war, den sie mittlerweile mehr als alles andere fürchtete. Außer Mario war da noch Eloisa, und nach Eloisa … nun, sie und ihr Mann hatten sich noch nicht auf einen Namen geeinigt.
    Mario wusste, dass Mama mit Küchenarbeit beschäftigt war, die dampfende Arbeit mit brodelnden Töpfen und heißen Pfannen. Das Abendbrot für Papa, der bald nach Hause kommen würde. Das Essen war noch nicht so weit fertig, dass Mario es freudestrahlend in alle Richtungen verteilen konnte. Mamas Kopf erschien um die Ecke der Küchennische, sah Mario in der Nähe der Wohnungstür, wo er auch sein sollte, und zog sich wieder zurück. Mario beobachtete sie. Gerade zur rechten Zeit. Nur Mama konnte die unsichtbaren Grenzen sehen, in denen Mario gefangen war.
    Alles, was Mario sah oder was ihn interessierte, war die Katze.
    Er kroch über die Türschwelle und gelangte jetzt in das Sichtfeld des Tieres. Er sah es, er wollte es, also quiekte er. Ein unsicheres, fragendes Quieken. Fast ein Locken. Die Katze duckte sich. Sie war sich nicht sicher, ob sie jetzt mit einer Verfolgungsjagd rechnen musste, und zu faul, sich zu bewegen, wenn sie nicht angegriffen wurde. Das Wesen in Windeln war nicht besonders groß, aber es gab merkwürdige Töne von sich, und die Katze hatte schon vor langer Zeit gelernt, sich von grapschenden Kinder-Pfoten fernzuhalten.
    Mario ließ seinen Angriffsschrei ertönen und tobte los, stampf, stampf, stampf.
    Die Katze spielte nicht

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