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Der Schacht

Der Schacht

Titel: Der Schacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David J. Schow
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daraus resultierenden Schützengräben fanden nächtliche Truppenbewegungen der Ungezieferarmeen statt, die wie die Vietcong in ihren Tunnelsystemen hausten. Hier und da riskierte schon mal ein ertrinkender Käfer einen verzweifelten Sprung und landete auf einem nackten menschlichen Wesen. Falls man dann versuchte, ein heißes Bad zu nehmen, um der unaufhörlichen Kälte zu entkommen, dann konnte man dem gleichen Käfer wiederbegegnen, der hoffnungslos um sein Leben paddelte. Eisige Luftzüge ließen die Metallstreben des Lüftungsschachtes klappern und schlängelten sich mit klammen Fingern durch die gammelige Isolierung des Badezimmerfensters. Wenn man da nass hineinging, konnte man leicht eine kleine Eisschicht auf der Haut ansetzen.
    Die Badezimmerdecke war ein weiteres Experiment fergusscher Handwerksarbeit, das gescheitert war. Jonathan konnte sich die grausigen jahreszeitbedingten sanitären Probleme ausmalen, wenn er an die Decke starrte. Vor ungefähr anderthalb Jahren war die Decke durchgerottet und durch schlecht ausgesägte Gipskartonplatten ersetzt worden, auf denen noch Sheetrock Firecode eingestanzt war. Statt die Decke auszufugen und zu streichen, hatte Fergus die Ränder nur mit dicken Streifen Klebeband abgeklebt. Die gaben unter dem Gesetz der Erdanziehung bald nach. Die vollgesogenen Platten wurden durch neue Lecks mindestens einmal pro Woche feucht und grau. Die Decke hing allmählich durch wie Fallschirmseide. Es stank nach Schimmel. Jonathan hatte sich schon in Albträumen ausgemalt, wie die Decke nachgeben und ihn mit abgestandenem Wasser, ertränkten Insekten und den Abwässern der anderen Hausbewohner überschütten würde.
    Fütter mich.
    »Hol dir selbst was, du kleiner Parasit.« Er fischte nach seinen Schlüsseln, noch nicht sicher, in welcher Reihenfolge sie zu dem Labyrinth von Schlössern paßten, das er zu meistern hatte. Er setzte die Kiste ab, und seine Finger entkrampften sich schmerzhaft. Die Katze schlenderte herüber und schnüffelte an der Kiste, dann rieb sie einen mageren Wangenkrochen an der Pappe.
    Na komm schon. Wir sind doch Freunde. Fütter mich.
    Bleib nur von meinen Beinen weg, dachte Jonathan. Was eine Katze sein konnte, konnte auch eine Spinne sein, die das Bein hochkrabbelte, auf der Suche nach einem warmen Ort.
    Jonathans Kombination von innerer/äußerer Tür war identisch mit der von Cruz einen Stock höher. Aber direkt neben Jonathans erster Tür befand sich einer der alten Eiskästen, eine vertikale Reihe von drei kleinen Klappen. Die verriegelten Eisschranktüren arbeiteten immer noch und gaben ein solides Klicken von sich, wie die Kühlräume bei einem Schlachter.
    Es war wie eine Neuauflage des Hauses Usher, die Schächte und Gänge die Ausgeburten eines wahnsinnigen Hirns. Irgendwo in der Nähe des Zentrums ein fiebriges Glänzen, das letzte Aufflackern von etwas Krankem, Sterbendem, irgendetwas, das nicht ganz normal war. So viel Tünche, so schwache Beleuchtung, so knarzende Dielen. Kaputte Aufzüge. Unnütze Kühlschränke. Zweifellos arbeiteten auch andere Dinge in dem Gebäude nur auf abnorme und unerwartete Weise. Jonathan stellte sich die Ratten in den Mauern als mögliche wandernde Hämatome vor; schwarze Katzen waren frei bewegliche Tumore. All die Bewohner waren nur die vorüberziehenden Vorstellungen in der Einbildung einer verrückten Person – jetzt hier und morgen vergangen. Aus dem Ruder gelaufene Gedanken, Fakten, die in einem gestörten Geist falsch abgelegt worden waren, Erinnerungen, die vergilbt und durch extremes Alter überzuckert waren. Träume.
    Sei ein braves kleines Blutkörperchen, dachte er, oder die Antikörper kriegen dich. Der Funke einer einzelnen Synapse wurde nie als solcher registriert. Oder vermisst.
    Hey! Fütterungszeit.
    »Ich werd dich schon nicht vergessen, Pussy. Bei wem soll ich mich sonst über die Polizei beklagen?«
    Ich habe damit nichts zu tun. Ich war nicht einmal da.
    »Du lügst.« Ganz beiläufig gesagt, eine Feststellung. »MR HAPPY.« Der Reiz von Dingen, die man sich merken konnte, war faszinierend. Jonathan hatte sich genauso wenig wie Cruz die Mühe gemacht, sich durch die vielen offiziellen Anträge hindurchzuarbeiten, die ihm irgendwann zu einem Telefon auf 207 verhelfen würden. Er hatte nicht vor, hier so lange zu wohnen, falls Bash ihm keinen Strich durch die Rechnung machte. Ein Telefon war ein unnötiger Luxus an einem Durchgangsort. Es gab Münzfernsprecher im Postamt drei Blocks weiter.

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