Der Schädelring: Thriller (German Edition)
ein schwacher Geruch nach Leder und Blumen. Dr. Forrest saß neben ihr. Sie strahlte hinter ihren beschlagenen Brillengläsern.
„Ja!“ Ihre Stimme klang triumphierend. „Sie haben es geschafft.“
Julia schaute um sich, sah die Uhr an der Wand. Ihre Stunde war beinahe um. Gott sei Dank, denn sie hätte es keine Minute länger in dieser strafenden Vergangenheit ausgehalten.
„Wie fühlen Sie sich?“ fragte Dr. Forrest.
„Schrecklich. Ich habe Kopfschmerzen. Meine Muskeln sind ganz steif.“ Sie rieb sich die Handgelenke, dort wo die imaginären Fesseln drückten.
„Die Erinnerungen sind im Körper“, sagte Dr. Forrest. „Psychogen. Auch der Schmerz ist eingesperrt, doch wir können ihn befreien.“
„Wenn es nur nicht so schrecklich wehtun würde.“
Dr. Forrest brachte ihr Gesicht ganz nahe zu Julia hin, so dass sie die fettucini Alfredo riechen konnte, die die Frau zum Lunch gegessen hatte. „Sie sind das Opfer, Julia. Vergessen Sie dies nicht. Sie haben die Misshandlung nicht verlangt.“
„Aber ich verlange ja danach, nicht wahr? Deswegen fürchte ich mich auch so vor dem Monster. Ich erwarte, dass mir etwas Schlechtes zustößt.“
„Ja, aber es ist nicht Ihr Fehler. Sie sind hilflos. Diese Leute – die bösen Menschen – haben Sie versklavt. Die Vergangenheit hat eine lange Reichweite.“
„Weshalb muss ich dann immer wieder in die Vergangenheit zurück? Können wir sie nicht einfach ruhen lassen?“ Julia schüttelte den Kopf, um den Rauch und den Schmerz zu vertreiben.
„Möchten Sie denn nicht gesund werden?“
„Natürlich. Das wissen Sie ja, deshalb bin ich hier.“
„Wir haben noch viel Arbeit vor uns“, sagte die Therapeutin. „Für heute ist es jedoch genug. Ich bin überzeugt, dass wir in dieser Sitzung einen wichtigen Durchbruch erzielt haben.“
Julia hatte das Gefühl, dass sie von innen aus durchbrochen worden war, dass sich die Erinnerungen einen Weg durch ihren Körper geschnitten und gebohrt hatten und bis unter die Haut gedrungen waren. Sie erhob sich und griff nach ihrer Tasche. Es war ihr leicht schwindlig. Dr. Forrest saß hinter dem Pult und blätterte in der Agenda.
Julia erwähnte beinahe die hölzernen Blöcke, wusste jedoch, dass Dr. Forrest sie auffordern würde, in ihrer Tasche nach der Quittung zu suchen. Die Therapeutin würde behaupten, dass Julia die Blöcke selbst gekauft und auf dem Tisch ausgebreitet hätte, um sich selbst psychisch zu quälen, so eine Art Selbstbetrug. Dann würde sich Julias Diagnose zu etwas Handfesterem verschärfen wie zum Beispiel zu „paranoidem Typus der Schizophrenie“ oder so etwas Ähnlichem. Und Julia wäre wieder weit von einer Heilung entfernt.
„Erzählen Sie mir von Ihrem Vater“, sagte die Therapeutin, ohne sie anzuschauen. „Als er mit Ihnen zusammen auf dem Boden spielte.“
Nein , dachte Julia. Dr. Forrest ist keine Hellseherin. Und der Glaube, dass Leute Gedanken lesen könnten, würde Julia definitiv in Richtung Schizophrenie bringen.
„Ich schrieb meinen Namen mit den Holzklötzen. Und dann lachte er und sagte scherzend, ‚Nein, mein Schatz, es heißt Juuulia ‘ und er fügte zwei weitere u‘s hinzu.
„Und was habt Ihr danach getan?“
„Ich sagte, ‚Nein, das stimmt nicht‘, und dann lachte er und umarmte mich und strich mir über das Haar und ordnete die Blöcke richtig an.“ Julia schaute zur Tür und bereute, dass sie sich aus ihrem chronischen Zustand der Verneinung hatte herauslocken lassen. „Ich will nicht mehr darüber sprechen.“
„Das Wiederherstellen guter Erinnerungen ist ebenso wichtig wie das Ausspülen der schlechten.“
„Im Moment habe ich keine Lust mehr, mich zu erinnern.“
„Also dann, nächste Woche wie gewohnt.“
Julia nickte. Dr. Forrest schrieb den Termin auf. „Rufen Sie mich an, wenn Sie mich brauchen.“ Dr. Forrest überreichte ihr den Zettel. „Und ich möchte, dass Sie etwas für mich tun.“
„Ja?“
„Legen Sie sich ein Tagebuch an. Schreiben Sie auf, was geschieht, was Sie beschäftigt, Ihre Träume und so fort. Es muss nicht formell sein, verwenden Sie die Bewusstseinsstromtechnik, je mehr desto besser.“
„Ich werde es versuchen“, sagte Julia. Sie wusste jedoch, dass sie es tun würde. Dr. Forrest war eine gute Therapeutin. Sie würde Julia keine unnützen Aufgaben geben. Alles hatte seinen Zweck. In ihren Psychologiekursen am College hatte Julia sich einige grundlegende Kenntnisse erworben. Und sie wollte, dass ihre
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