Der Schädelring: Thriller (German Edition)
als wollte er in einen See tauchen – „und ertränkt uns mit Sünde, ertränkt uns mit Leid. Er stiehlt unseren Atem mit falschen Versprechungen. Er bringt uns zu Fall und wir werden uns nicht einmal dagegen wehren. Wir umarmen ihn und danken ihm.“
Der Mann schritt vor den vornehmen, violetten Vorhängen und den Blumenarrangements, die als Bühnenbild dienten, ruhelos hin und her. Auf einem Transparent leuchteten die großen, goldenen Ziffern einer Spendentelefonnummer.
„Aber der Herr wird kämpfen“, sagte der Mann mit erhobener Stimme und schüttelte die Faust. „Der Herr wird Satans Augen ausbrennen, der Herr wird unsere Liebe als Waffe benutzen, ein mächtiges Schwert, mit dem er ins Feuer schlägt“ – er machte eine Schneidebewegung mit der freien Hand – „und Satans gierige Finger durchschneidet und seine böse Zunge zum Verstummen bringt, die uns solch süße Lügen zuflüstert. Lügen über alle Vergnügungen, die wir haben könnten, wenn wir uns von Gott abwenden würden.“
Pause. Close-Up. Der Mann senkte den Kopf in Trauer und Ehrfurcht. Ein perfekt geplanter Augenblick.
Er zeigte wieder auf die Kamera. „Satan will euch haben“, sagte er und sah dabei beinahe wie eine Karikatur der patriotischen „ Uncle Sam wants you“ -Posters aus. „Er besitzt euch.“
Julia zeigte mit dem Finger auf ihn. Ihre Faszination verwandelte sich in Langweile. „Nein er leiht mich nur aus.“
Sie würde lieber den Cardinals beim Verlieren zuschauen. Der Videorekorder hatte irgendwie die Aufnahme übersprungen, sich ausgeschaltet und das Programm verloren. Zuerst die Uhr und nun auch noch dies. Sie musste George Webster anrufen, damit er Walter beauftragte, die elektrischen Leitungen zu kontrollieren.
Natürlich, mach ein mechanisches Versagen statt einen Fehler des Betreibers dafür verantwortlich. Oder den Wahnsinn des Betreibers. Gott sendet Nachrichten, in lächerlicher Verpackung eingewickelt.
Julia schaltete den Fernseher aus. Der Ton verklang und das Gesicht des Fernsehpredigers verschwand sofort im Dunkeln. Nachdem sie das Schloss der Haustür überprüft hatte, ging sie ins Badezimmer, um zu duschen. Es gelang ihr, sich die Haare zu waschen, ohne ein einziges Mal aus der Duschkabine hinauszuschauen. Keine Schurken, keine Anthony Perkins-Möchtegerns, keine Gucklöcher in der Wand, nichts außer feuchter Beschlag an den Kacheln.
Bevor sie das Badezimmer verließ, betrachtete sie ihre Figur im Ganzkörperspiegel an der Tür. Im beschlagenen Glas verblassten die langen Narben beinahe, die sich vom Bauch bis unter die Wölbung der Brüste erstreckten. Außer den Narben sah sie mit ihren siebundzwanzig Jahren nicht schlecht aus. Mitchell jedenfalls war zufrieden.
Sie ging zu Bett und las in einem Buch von Jefferson Spence. Sie ließ sich wegtragen in ein Land, in dem die Protagonisten sich immer auf ihre inneren Kräfte verließen, um böse Hindernisse zu überwinden. Der Wecker funktionierte noch immer und sie stellte ihn für den nächsten Morgen ein. Als sie das Licht ausschaltete, ging sie im Gedächtnis eine Prüfliste durch.
Türen abgeschlossen. Fenster verriegelt. Vorhänge zugezogen. Pfefferspray im Wohnzimmer. Baseballschläger unter dem Bett, der Louisville-Schläger, den ihre Adoptiveltern ihr zum sechzehnten Geburtstag geschenkt hatten.
Alles dicht.
Nichts als Dunkelheit und Ruhe, die sich über das Haus senkte. Die Blätter an den Bäumen flatterten leicht und streiften gelegentlich das Fliegengitter vor dem Fenster. Die Nachbarn hatten die Musik leiser eingestellt. Sie waren ziemlich rücksichtsvoll mit Ausnahme der Partys an den Wochenenden.
Julia lag im Dunkeln und dachte an ihre Paranoia-Episode am Morgen, an die hölzernen Klötze, die Sitzung bei Dr. Forrest, die satanischen Morde, an Rick, an Dr. Forrest. An etwas während der Hypnose. Eine Erinnerung, die aus dem Schlummer kroch, Finger, die aus der feuchten Dunkelheit des Kellers griffen und sich einen Weg an die Oberfläche kratzten.
Die bösen Menschen um sie herum, die sie berührten und sie verletzten.
Nein.
Diese Erinnerung gehörte in das Sitzungszimmer von Dr. Forrest, wo sie von den Wänden umgeben war. Nicht hier, in Julias Haus, wo sie sich aus den Ohren schleichen und unter das Bett schlüpfen konnte, um dort auf sie zu warten. Die Erinnerung wartete, bis sie einschlief, eingewickelt in die Laken des Alptraums. Dann würde sie Julia am Fußgelenk packen und ihren schmierigen Rachen öffnen und
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