Der Schädelring: Thriller (German Edition)
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Sie richtete sich auf und knipste die Nachttischlampe an.
Die Digitaluhr bewegte sich, zählte die Zeit aus der Vergangenheit oder in die Zukunft, von welcher Seite man es auch betrachtete. Julia schaute der Uhr eine Weile zu und griff dann nach dem Buch. Sie las bis nach Mitternacht. Mittlerweile ärgerte sie sich über die allzu perfekte Heldin in Spences Roman und über seine libertäre Weltansicht, ganz abgesehen vom Hund, der von Zeit zu Zeit schnaufend auf den Seiten auftauchte, sowie dem gelegentlich aufgeblasenen pompösen Prosastil. Das Buch hatte ihr jedoch dabei geholfen, ihre Probleme zu vergessen. Darauf konnte sie sich bei Spence verlassen.
Sie legte sich auf das Kissen zurück.
Es fühlte sich nicht schlecht an. Sie war beinahe bereit, im Dunkeln zu schlafen, entschied sich jedoch, das Licht eingeschaltet zu lassen. Einmal mehr würde nicht schaden.
Sie dachte an das Videoband und versuchte sich an die Einstellung beim Videorecorder zu erinnern. Sie konnte sich erinnern. In Gedanken sah sie, wie sie die Tasten gedrückt hatte, Kanal 27. Und trotzdem war der pomadenbeschmierte Prediger aus der Hölle aufgetaucht.
Na, ja, wir machen alle mal einen Fehler.
Ihre Gedanken verloren sich im Unsinn. Ricks Gesicht, der See beim Club, wo sie Mitchell getroffen hatte, ihre toten Adoptiveltern, ein Lehrer aus der sechsten Klasse, der grüne Hosenträger getragen hatte, Mickey Mouse – Bilder flitzten schneller und schneller auf dem Vorschaubildschirm der Träume vorbei.
Sie war beinahe eingeschlafen, als sie vor dem Fenster ein Geräusch hörte, das Knacken eines feuchten Zweigs, der zerbrach.
Sie hielt den Atem an, drückte das Gesicht gegen das Kissen und lauschte.
Ein Krabbelgeräusch an der Außenwand. War der Baseballschläger in der Nähe?
Es ist nichts, Julia. Höchstwahrscheinlich der Hund des Nachbarn, der dir ein übelriechendes Geschenk für morgen hinterlässt. Oder ein Waschbär. Du wohnst direkt neben dem WALD. Hier gibt es Tiere, nicht vergessen.
Ein Schwappen am Gitter vor dem Fenster. Ein Hund konnte nicht so weit reichen.
Es ist ein Schurke.
Sollte sie so tun, als ob sie nichts bemerkt hätte, das Licht ausschalten und vorgeben, sie lege sich schlafen? Im Dunkeln konnte sie unbemerkt den Baseballschläger ergreifen. Sie konnte sich erheben und neben dem Fenster warten, bis der Schurke hereinkam und dann –
Was dann? Den Schläger schwingen, wie es ein mit Steroiden voll gepumpter Mark McGwire in seinen besten Jahren getan hatte?
Nein. Sie konnte die Polizei anrufen.
Die Polizei.
Erster Polizist: „Siehst du was?“
Zweiter Polizist (lässt den Strahl seiner Taschenlampe über den Boden unterhalb des Fensters gleiten): „Hmm. Sieht ganz nach Tierspuren aus.“
Erster Polizist: „Welche Art Tierspuren?“
Zweiter Polizist: „Verdammt. Ich bin soeben in Hundekacke getreten.“
Manchmal ist eine Zigarre eben einfach nur eine Zigarre.
Manchmal sind Geräusche einfach nur Geräusche.
Sie löschte das Licht, ohne zum Fenster zu schauen.
Erneutes Schwappen am Fliegengitter.
Sie musste einfach hinsehen.
Augen.
Nur schwach erleuchtet von der entfernten Straßenlampe zwischen den Vorhängen.
Aber Augen .
Und dahinter ein Gesicht?
Sie ließ die Hand langsam vom Bett sinken; sie bereitete sich darauf vor zu schreien, nach dem Baseballschläger, dem Telefonhörer oder sonst was zu greifen.
Die Augen waren weg.
Sie lag schweißgebadet da und versuchte sich zu überzeugen, dass sie sich die Augen nur eingebildet hätte, dass sie sicher war. Dr. Forrest hatte sie davor gewarnt, ihre Fantasiewelt in die Realität eindringen zu lassen. Dr. Forrest hätte es gar nicht gerne, wenn sie ihr von nicht existierenden Augen am Schlafzimmerfenster erzählen würde.
Die hölzernen Bauklötze waren echt gewesen. Wenn sie jedoch die Augen schloss, konnte sie sich vorstellen, sie hätte sie im Spielwarengeschäft ausgesucht, bei der Kassiererin bezahlt, nach Hause gebracht und die Buchstaben auf dem Tisch ausgebreitet. Dann hätte sie es vergessen, damit sie sich später selbst Angst einjagen konnte.
Das klang nach Wahnsinn, nach multipler Persönlichkeit, nach durchgedreht. Aber sie würde nie verrückt werden. Dr. Forrest würde es nicht zulassen. Es war besser vorzugeben, dass die Klötze nie existiert hätten. Kein Unhold hielt sie zum Narren, außer der Unhold in ihrem Kopf.
Julia würde diesen Teil nicht im Tagebuch vermerken, mit dem sie morgens anfangen wollte. Und wenn
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