Der Schädelring: Thriller (German Edition)
stöhnte sie und legte den Telefonhörer auf die Gabel zurück. Sie hätte sich beinahe zum Affen gemacht. Die Polizei wäre auf ihre Einbruchsmeldung hin eingetroffen. Sie konnte es sich lebhaft vorstellen.
Erster Polizist: „Würden Sie diese Spur genau untersuchen, Herr Kommissar?“
Zweiter Polizist: „Natürlich. Habe sie bereits ausgemessen.“
Erster Polizist: „Warten Sie mal. Das ist kein Lehm.“
Zweiter Polizist: „Pfui. Riecht wie Hundekacke. Was ist das an Ihrem Schuh, Fräulein?“
Julia wischte den Schmutz weg und legte eine CD von Natalie Merchant auf. Wenn Natalie Merchant über Mutterschaft und Dankbarkeit sang, konnte nichts Böses geschehen. Julia las ihre E-Mail. Es waren einige Spam-Witze ihrer Mitarbeiter dabei und einige Mitteilungen der Cardinals-Newsgruppe von St. Louis. Die Cardinals waren wie üblich etwa zwanzig Baseballspiele im Rückstand.
Sie löschte die Nachrichten, da einer der Mitglieder der Newsgruppe die Ereignisse des Spiels bekanntgab. Julia hatte das Spiel auf Band aufgenommen und wollte es anschauen, ohne das Resultat im Voraus zu kennen. Sie setzte sich aufs Sofa, schaltete die Fernbedienung ein und spulte das Videoband zurück. Sie aktivierte den Anrufbeantworter und starrte auf den leeren Fernsehbildschirm.
Die einzige Nachricht stammte von George Webster, der ihr mitteilte, dass Walter Triplett ihre Schlösser überprüfen werde. Sie setzte den Anrufbeantworter zurück und wunderte sich, ob Rick wohl anrufen würde.
Dies war kein Rendezvous, sagte sie sich. Das war definitiv nur ein Zusammensitzen unter Freunden. Ich hoffe, dass er sich darüber im Klaren ist.
Sie wollte nicht ihre gesamte Bürozeit damit verbringen, Annäherungsversuche abzuwehren. Andererseits war es immer schmeichelhaft, beachtet zu werden. Rick war anders als Mitchell. Er war nicht so aggressiv, er respektierte ihre Meinungen, er hatte auch andere Interessen als Geldverdienen –
Nun mal langsam, Mädchen. Wenn du anfängst, den Mann, den du heiraten willst, mit anderen zu vergleichen, dann versaust du dir eine glückliche Zukunft. Dies ist etwa gleich schlimm, wie Therapeuten miteinander zu vergleichen.
Und ihre Zukunft würde glücklich sein. Sie würde in das dreistöckige Haus in Colliersville einziehen, das Mitchell gehörte, sie würde einem Tennisclub beitreten, vielleicht als Volontärin für die Bibliothek arbeiten. Gesellige Abende mit Mitchells Anwaltsfreunden, bei denen die Männer über das Geschäft redeten, die wenigen Anwältinnen versuchten, hie und da zum Wort zu kommen und die Ehefrauen Ferienangebote miteinander verglichen. Sie würde Perlen und hohe Absätze tragen und die Modehefte durchblättern, um festzustellen, welche Parfumhersteller die ausgefallensten Werbekampagnen durchführten. Mit der Zeit würde sie nachgeben und Makeup tragen, um die Spuren des Alters und der Schwerkraft zu verdecken.
Mitchell würde ihr erlauben, ihre Therapie weiterzuführen, vorausgesetzt, sie nähme sie nicht zu ernst. Sein Freundeskreis würde dies lediglich als zusätzliche Nebenleistung des Wohlstands betrachten, als Zeitvertreib, ähnlich wie das Besuchen von Kunsthandwerkkursen. Mitchell würde mit Vierzig eine Affäre haben, vielleicht sogar mehrere, wenn sich die ersten grauen Strähnen bemerkbar machten und er das Gefühl hätte, in seiner Jugend etwas verpasst zu haben. Julia würde seine Flirts akzeptieren, eine Gesichtsstraffung und Botoxspritzen machen lassen, vielleicht eine Schönheitsoperation, um ihre Brüste zu heben, damit Mitchell sie immer noch stolz vorzeigen konnte.
Sie würden zwei der Ferienhäuser von Mitchells Eltern erben. Die restlichen gingen an Mitchells Schwester. Er würde Santa Monica wählen und Julia zuliebe Marthas Vineyard übernehmen. Julia würde im Herbst am Strand sitzen, Margaritas und Rumpunsch schlürfen. Sie trank derzeit nicht viel Alkohol, würde es sich jedoch zur Gewohnheit machen, da alle in Mitchells Bekanntenkreis tranken. Vielleicht würde sie sogar zur Alkoholikerin, die Modebeschäftigung der Ehefrauen von ehrgeizigen Männern. Die neue Krankheit würde womöglich die alte überschwemmen.
Und wäre das so schlimm? Die Angst würde sich langsam in einem grauen Nebel auflösen, die Erinnerungen würden verblassen und sich entfernen. Die Vergangenheit würde weggewaschen anstatt untersucht, aufgewühlt, gesammelt und analysiert zu werden. Die Vergangenheit wäre einfach Vergangenheit. Sie hätte nichts zu tun mit der
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