Der Schädelring: Thriller (German Edition)
Skelett.
Julia war vier Jahre alt. Sie stieg aus dem Bett. Ihr Teddybär war hinter dem Kopfbrett auf den Boden gefallen, aber sie holte ihn nicht zurück. Stattdessen ging sie zur Tür, horchte auf die Stimmen im Zimmer nebenan, drehte den Türknopf.
Das Skelett stand vor ihr. Sein Schädel grinste wie ein Springteufel.
Sie versuchte zu schreien, aber dann berührten sie seine harten, klappernden, schmutzig-weißen Finger und drückten sie hart und aufdringlich. Das Skelett packte sie und zog sie in das Wohnzimmer. Vati war weg. Die bösen Menschen in den dunklen Gewändern standen um sie herum und schauten sie an. Sie öffnete den Mund, um zu schreien, aber dann warf jemand eine Wolldecke über sie. Die Wolle kratzte auf der Haut.
Sie trugen sie aus dem Haus in die kühle, dunkle Nacht. Lange danach, vielleicht nach mehreren Stunden, zog jemand die Wolldecke weg. Zwei der schwarz gekleideten Menschen hielten sie fest. Die anderen standen im Dunkeln und schauten zu. Sie zogen ihr die Kleider aus und fesselten sie. Jemand stach sie mit einer Nadel in den Arm.
Sie wurde auf einen Stein gelegt. Die harte Kälte drang in ihren Körper ein. Die bösen Menschen standen im Kreis um sie herum. Sie wollte um Hilfe schreien, aber sie war so müde, so schläfrig.
Neben dem Stein brannten Kerzen. Mit verschiedenen Dingen gefüllte Tongefäße standen herum. Über ihr ragten Bäume in die Höhe unter dem hellen, vollen Gesicht des Mondes. Ein süßlicher, schwerer Rauchgeruch hing in der Luft. Die bösen Menschen fingen an, sich hin und her zu wiegen und fielen in einen Gesang, der ihr das Blut in den Adern gefrieren ließ.
Einer der bösen Menschen stand über ihr und streckte seine Hände aus. Ein großer Ring mit einem silbernen Totenschädel, der winzige rote Edelsteine als Augen hatte, leuchtete an einem Finger. Die Hand mit dem Ring griff in die Falten seines Mantels und brachte ein langes Messer hervor, dessen Klinge im Mondlicht glänzte.
Die bösen Menschen standen um sie herum. Der Gestank ihres Schweißes ekelte sie; sie musste beinahe erbrechen. Der leuchtende Schädelring grinste. Sie wehrte sich gegen die Fesseln. Warum konnte sie nicht schreien?
Der böse Mann mit dem Messer neigte sich nach vorne und hob die Klinge in die Höhe. Er beugte den Kopf nach hinten, als ob er beschwörend in den nächtlichen Himmel schauen wollte. Seine Kapuze fiel nach hinten. Die vierjährige Julia sah die untere Hälfte seines Gesichts im Halbschatten. Dieser Mund, dieses Kinn –
Nein.
Nicht er.
Bitteeeee–
Endlich konnte sie schreien. Sie erwachte in ihrem Bett, von einer dichten Dunkelheit umgeben, Arme und Beine in die Laken verwickelt. Sie setzte sich auf; sie war schweißgebadet.
Für einen kurzen Augenblick sah sie noch immer das Gesicht vor sich. Sie rang nach Luft. Es war nur ein Traum, nur ein dummer, eigenartiger Alptraum.
Warum spürte sie dann zwei schmerzende Gerinnsel an ihrem Unterkörper?
Sie griff unter das Laken und berührte die Narben.
Sie waren feucht.
Sie fummelte an der Nachttischlampe herum und warf sie beinahe um, bevor sie den Schalter fand. Das Licht blendete sie. Julia betrachtete ihre Finger.
Nur Schweiß.
Kein Blut.
Julia schaute instinktiv auf den Wecker, erinnerte sich dann, dass er im Abfallkübel lag. Sie legte sich aufs Kissen zurück und dachte an weiche, sonnige Dinge, an das Seeufer beim Country Club, wo sie mit Mitchell zusammen war und ihre Jungfräulichkeit verloren hatte, an das kleine Strandhaus bei Cape Hatteras, das ihren Adoptiveltern gehört hatte, an den Spielplatz der Primarschule in Denton, wo sie ein kleiner Kickball-Star gewesen war.
Langsam beruhigte sich ihr Atem. Sie griff nach dem Tagebuch und schrieb den Traum auf. Die Bilder des Feuers und des Rauchs und des Schädelrings hinderten sie immer wieder am Versuch, sich auf alltägliche Dinge zu konzentrieren. Sie ließ alle Erinnerungen fallen und berechnete die Chancen der Cardinals, im folgenden Jahr zur nächsten Stufe in der Division aufzusteigen, und dachte an deren fortdauernde Suche nach einem anständigen Closer, Center Fielder und linkshändigen Starting Pitcher.
Julia schaltete das Licht aus. Obschon sie sich vor der Dunkelheit und den darin möglicherweise verborgenen Gefahren fürchtete, hasste sie den Gedanken, dass man sie von außen sehen konnte, während sie selbst nichts sah.
Die Dunkelheit wird nicht gewinnen. Lieber Gott, wenn du wirklich dort oben bist, lass es nicht zu.
Sie
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