Der Schädelring: Thriller (German Edition)
dabei, wie sie ihn mit Walter verglich und schauderte innerlich. Sie aß ihr Stück Kuchen mit erneutem Enthusiasmus. Mitchell war ihre Vergangenheit, ihre Gegenwart und ihre Zukunft. Walter war der Mann, der ihre Fenster reparierte. Ende der Träumerei.
Mitchell klappte das Handy zu und setzte sein „steuerfreies“ Lächeln auf, das seine Wirkung bei den Geschworenen in einem Zivilrechtsfall nie verfehlte.
„Fährst du morgen mit mir zum ehemaligen Haus meines Vaters?“ fragte sie ihn.
„Zu diesem alten Ort? Was willst du denn dort?“
„Ich bin seit sieben Jahren nicht mehr dort gewesen.“ Sie erfand schnell eine Lüge. „Dr. Forrest sagte, dass es gut für mich wäre, dass es mir helfen würde, einen Schlussstrich unter die Sache zu ziehen.“
„Was weiß diese Dr. Forrest schon? Du bist ja erst seit ein paar Monaten bei ihr.“
„Dr. Forrest hilft mir. Sie versteht mich.“
Mitchell schob seinen Teller weg und schaute auf die Straße hinaus. „Und ich verstehe dich nicht? Ist es das, was du damit sagen willst? Ich muss wohl dankbar sein, dass du wenigstens nicht mehr zu diesem Lanze gehst.“ Er sprach den Namen in einem höhnischen verweichlichten Ton aus. „Oder hast du dich mit ihm für heute Nachmittag verabredet?“
„Fährst du mich hin oder nicht? Ich kann mir auch ein Taxi leisten.“
Mitchell seufzte mit der Miene eines unermüdlichen Märtyrers. „Okay. Gehen wir. Wir können unterwegs über die Hochzeit sprechen.“
Das Haus, in dem Julia gelebt hatte, befand sich in Frayser, fünfzehn Meilen vom Stadtzentrum entfernt. Die Umgebung war etwas heruntergekommen. Eine alte Industriezone traf auf die städtische Ausbreitung und dazwischen waren die Familien der Arbeiterklasse eingeklemmt. Sie hatten etwas Mühe, das Haus in der stark veränderten Gegend inmitten der Neubauten zu finden. Auch standen die riesigen Ahornbäume, die einst die Straße gesäumt hatten, nicht mehr. Das Haus stand noch immer da. Seine mit Schindeln bedeckten Wände waren von der Witterung ergraut, ein Teil der Dachrinne fehlte und um die Einfahrt herum wuchs hohes Gras. Im Vorgarten stand ein schiefes „Zu Verkaufen“-Schild.
Sie gingen hinter das Haus. Mitchell setzte vorsichtig einen Fuß vor den anderen, um seine Schuhe vor Schleifstellen zu schützen. Dem Zaun entlang des Gartens fehlten einige Latten, was an herausgeschlagene Zähne im Gesicht eines pensionierten Boxers erinnerte. Das Land des Bauernhofs, das einst bis hinter die Reihe neuer Häuser reichte, war in separate Parzellen aufgeteilt. Etwas Weideland und die windschiefe Scheune waren jedoch noch vorhanden.
„Ich habe hier als Kind gespielt“, sagte Julia und ließ ihren Blick über das herbstgelbe Heufeld schweifen. „Vati verbot mir jedoch, in die Scheune zu gehen.“
„Kein Wunder“, sagte Mitchell. Er stand hinter ihr und schlug auf die Fliegen ein. „Der Stallmist stand wahrscheinlich sechs Fuß hoch. Wer um alles in der Welt würde schon Tiere um sein Haus herumwandern lassen?“
Julia betrachtete die Scheune aufmerksam. Etwas kam ihr eigenartig vor, nun, da das Gebäude mit dem verrosteten Blechdach, den grauen, schiefen Wänden mit den Astlöchern im hellen Licht der Mittagssonne stand. Das Bild weckte eine Erinnerung im Hinterkopf, aber etwas stimmte nicht. Ihre Erinnerung war beinahe nur negativ, von einer Scheune in einem kälteren Licht, eine Scheune gegen einen dunklen Hintergrund.
„Meine Güte, ich möchte wissen, weshalb die keinen Rasenmäher kaufen“, sagte Mitchell.
Julia biss an ihrem Daumennagel herum.
„Das hingegen nenne ich Fortschritt“, sagte Mitchell. Er zeigte auf eine große ebene Fläche in der Ferne, die durch eine Lücke in den roten Ahornbäumen sichtbar war und auf der Lastwagen und Bulldozers standen. „Die Stadt muss ihre Steuergrundlage in diese Richtung erweitern. Sie erstellen Abwasser- und Wasserleitungen zu einem Preis von mehreren Hundert Dollar pro Fuß, aber diese miesen Häuser hier erhöhen den Wert überhaupt nicht.“
Julia starrte in den dunklen Rachen der Scheune. Was? Was?
Wenn nur Dr. Forrest hier wäre.
„Na, ja, Süße, du musst das von der positiven Seite aus sehen“, sagte Mitchell, wandte sich von ihr weg und ging bis an den Rand des Grundstücks. „Es ist schrecklich, was mit deinem Vater geschehen ist, aber wenigstens hattest du das große Glück, von einer reichen Familie adoptiert zu werden. Wenn du hier aufgewachsen wärest, hätten wir uns wahrscheinlich
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