Der Schädelring: Thriller (German Edition)
nie getroffen.“
Die Scheune. Etwas aus jener Nacht, der Nacht des Schädelrings und des Altars.
„Liebling?“
Die Scheune, der Stein, Singen, Kapuzen. Böse Menschen.
Ein Hand berührte ihre Schulter. Sie schrie auf und drehte sich um.
Mitchell stand da mit offenem Mund, die Hände vor sich mit den Handflächen nach oben. Er war ebenso erschrocken wie sie. „Was ist?“
Julia bedeckte ihr Gesicht mit den Händen.
„Mensch, Julia, weshalb bist du so schreckhaft? Ich hab’s ja gesagt, wir hätten nicht hierher kommen sollen.“ Er schritt auf sie zu. Sie zog sich bis zum Zaun zurück.
„Wieso kannst du die verdammte Vergangenheit nicht ruhen lassen?“ schrie er. „Sie ist nichts wert und sie war es nie.“
Er richtete seine Krawatte aus; sein Gesicht war rot. „Warum in Herrgotts Namen tust du dir das an. Warum tust du es mir an?“
Sie wandte den Blick ab und schaute über das Weideland hinweg. Die Form der Scheune verschwamm hinter ihren Tränen. Es kam ihr vor, als stehe sie am Rande einer tiefen Spalte und verliere das Gleichgewicht, als ob eine der tektonischen Platten der Erde abzubrechen drohte und sie mit sich reißen würde. Sie hielt sich am Zaun fest, versuchte in dieser Welt zu bleiben. Auch mit all ihren Schmerzen und Problemen war dies doch ihre Welt.
Wenn Mitchell nun zu ihr käme und sie umarmte, würde sie es zulassen. Sie würde ihn an sich drücken. Sie würde diesen Ort mit seinen Erinnerungen verlassen, das sichere Leben, das Mitchell ihr bot, annehmen und die sinnlose Flucht nach Elkwood aufgeben. Sie würde zu Dr. Lanze zurückgehen. Nein, sie würde auf Mitchells Empfehlung hin zu einem anderen Therapeuten gehen. Und mit dem neuen Therapeuten würde sie nur an den derzeitigen Alltagsproblemen, die in die Zukunft wiesen, arbeiten.
Sie würde nie mehr zurückschauen, soweit sie es verhindern konnte.
„Vielleicht werde ich es eines Tages verstehen“, sagte sie mit hohler Stimme. „Und vielleicht kann ich es eines Tages dir verständlich machen.“
„Eines Tages“, sagte Mitchell höhnisch. „Wir haben nicht mehr so viele Tage übrig. Du muss dich langsam entscheiden.“
Sie begann sich umzudrehen, um ihm ihre Tränen zu zeigen. Sie wusste jedoch, dass er sich dann schämen würde. Welcher Mitchell war der wirkliche Mitchell, der, der sie anschrie oder der, der ihre Tränen trocknete?
Sie schaute weiterhin auf die Wiese hinaus, auf das goldene Gras, das sich in der leichten Brise kräuselte. Die Wiese war ein See, in dem die Erinnerungen versanken, aber nur für einen Augenblick. Denn die Scheune schwamm wie ein dunkles Schiff auf der Oberfläche.
Sie hörte, wie Mitchell durch das Gras marschierte und die Tür zu seinem Lexus zuschlug. Sie gab ihm die Möglichkeit wegzufahren, wusste jedoch, dass er es nicht tun würde. Sie wartete, bis die Kontinente wieder zusammentrieben und sie festen Boden unter den Füßen verspürte. Danach stieg sie über den Zaun, ohne noch einen Blick auf Mitchell zu werfen, und überquerte die Weide.
12
Das Innere der Scheune war dämmerig, obwohl das Tor offen stand und Lichtschimmer durch die Lücken in den verbogenen Brettern der Seitenwand drangen. Die Stützbalken und Bretter waren vom Alter ergraut und der Heuboden hing in der Mitte durch. Es roch nach modrigem Heu, nach Staub von trockenem Mist und nach Tierfellen, obschon die Ställe schon seit Jahren leer standen.
Als Julia die Scheune betrat, krochen die dunklen Ecken auf sie zu und schleppten Säcke gefüllt mit Erinnerungen mit sich. Das Schleifen ihrer Füße auf dem Erdboden tönte wie das Schlittern von Schlangen. Sie fröstelte, obwohl die Luft feucht und still war. Julia verschränkte die Arme vor der Brust. Sie hatte Angst weiterzugehen, konnte jedoch nicht anhalten.
Sie war schon einmal hier gewesen.
Die Narben auf ihrem Magen begannen zu pochen.
Sie kniete nieder, es wurde ihr schwindlig und sie glaubte, erbrechen zu müssen. Sie hörte ein schrilles, wimmerndes Geräusch in den Ohren und ihr Herz begann zu rasen.
Panik.
Das war die Panik, die sie so hart bekämpft hatte, die Panik, die sie von Mitchell und ihren Arbeitskollegen und sogar von ihren Adoptiveltern verborgen gehalten hatte. Die Panik, die nachts hervorbrach und sie übermannte, wenn die Vergangenheit ihr zu nahe trat und die schrecklichen Finger sich nach ihr ausstreckten und sie zu ergreifen suchten.
Die Panik, von der Dr. Forrest behauptete, Julia könnte sie überwinden.
Aber
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