Der Schädelring: Thriller (German Edition)
schaute ihr voll in die Augen und sein Lächeln würde das Blut einer Kobra gefrieren.
Beide kannten die Wahrheit. Julias Verhaltensstörung würde vor Gericht angeklagt, nicht Mitchell. Er konnte sich den besten Strafverteidiger leisten und am Ende würde er lachend aus dem Gerichtssaal schreiten, während Julia in einer dunklen Lache des Selbsthasses versinken würde. Die Verteidigung hätte ihre psychologischen „Experten“ zur Verfügung, die in Julias Gehirn wühlen würden, bis sie selbst überzeugt wäre, dass der Angriff ihre Schuld war, dass sie das Ganze inszeniert hätte, da alle Menschen wussten, dass Übergeschnappte verrückte Taten begingen.
Natürlich. Welche Geschworenen würden einen aufrechten, respektablen Bürger allein aufgrund der wilden Beschuldigungen einer Person verurteilen, die als instabil bekannt war? Sie konnte sich die Predigt des Verteidigers während seines Schlussplädoyers lebhaft vorstellen: die Hochkirche der Vernunft gegen die Verdammten und Todgeweihten, die es wagten, nicht perfekt zu sein, diese komischen Vögel, die „Psychologen konsultierten“, die „eine Therapie machten“, die „diagnostiziert wurden“.
Oh, ja. Man würde sie ans Kreuz schlagen, ihre Ängste als Nägel verwenden und ihre Heilversuche würden als Holz dienen.
Und Mitchell wäre nicht nur ihr Judas und ihr Pontius Pilatus; er wäre auch der römische Soldat mit dem Hammer.
Sie hastete an ihm vorbei, beugte sich nieder und nahm die Schachtel und ihre Tasche auf. „Verschwinde“, sagte sie und fühlte sich innerlich wie tot.
„Wenn es nicht um das Geld ginge, wäre ich schon vor Jahren weg“, sagte er mit einem arroganten Lächeln. Er war wieder ganz der Unberührbare.
„Das Geld?“ fragte sie und wich zurück.
„Wir hätten es auf die angenehme Art machen können“, sagte er und strich sich durchs Haar. „Nun wird es hässlich.“
Die Tür zum Zimmer ging leise zu aber die Tür zum Hause in ihrem Kopf schloss sich mit einem lautem Quietschen, mit Kettengerassel und dem rostigen Schreien des Türriegels.
18
Die Sonne war am Untergehen, als Julia Elkwood erreichte. Die Bergkämme glühten herbstlich, als ob sie mit geschmolzenem Gold bedeckt wären. Die siena- und ockerfarbenen Blätter bedeckten die Abhänge und in der Höhe waren Tupfen des dunklen Grüns der Balsamtannen und Fichten zu sehen. Schatten füllten das lange Tal, wo der Amadahee durch die Mitte der Stadt floss und seine reichhaltigen Septembergerüche von Salamander und Lehm mit sich brachte.
Als Julia ihren Subaru den Hügel hinauf gegen Buckeye Creek Road steuerte, hatte sie die Unruhe, die sie während des Heimflugs beinahe verzehrt hatte, bereits vergessen. Die hohen Bäume beruhigten sie und sie war erleichtert, als sie wieder die Weiden mit den schräg stehenden Schotendornstangen und den rostigen Stacheldrähten sah. Sie betrachtete die Bauernhöfe, die weit weg von der Straße standen und die Kühe, die das Gras mit dumpfer Beharrlichkeit angriffen. Hie und da ragten die Spitzen von Granitblöcken aus der Erde empor wie große Raketen, die zum Abschuss in den Himmel bereit standen.
Obwohl sie erst seit vier Monaten in Elkwood lebte, war ihr dieser Ort zum Zuhause geworden. Anfangs war es eine verzweifelte Flucht gewesen. Mitchell hatte sie vertrieben und sie gleichzeitig aufgefordert, in Memphis zu bleiben. Dr. Lanze hatte ihr dieses Bergdorf als netten Ort vorgeschlagen, in dem sie sich auf ihre Zukunft vorbereiten konnte und die Empfehlung von Dr. Forrest war wie ein Rettungsring gewesen, mit dem das von den Wellen getriebene schiefbrüchige Opfer den sicheren Strand einer Insel erreichte.
Nun lag eine klarere Zukunft vor ihr, obschon die Vergangenheit noch eigenartiger und beängstigender war als je zuvor.
Jetzt drehte sich die Zukunft nicht länger um Mitchell und dem abgesicherten Gefängnis, das er ihr bot. Das Komische an der Sache war, dass er sich letztendlich als noch unstabiler erwiesen hatte als sie es war. Morgen würde sie ihm den zweikarätigen Diamantring per eingeschriebener Post zurücksenden. Die Erinnerung an den Angriff war im Innern begraben, ein Nest voller Schlangen. Sie getraute sich nicht, allein damit fertigzuwerden. Der Zusammenbruch würde warten müssen, bis sie auf dem Stuhl in Dr. Forrests Büro saß.
Julia hatte sich noch nicht entschieden, wann sie Dr. Forrest vom Schädelring erzählen wollte. Vielleicht nächste Woche. Im Moment hatte sie mehr als
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