Der Schaedelschmied
verschüttetem Bier, fettigem Fleisch und Erbrochenem raubte Hippolit den Atem. So, dachte er mit einer Mischung aus Faszination und abgründigem Widerwillen, musste es im neunten Kreis von Blaaks vielbesungener Unterwelt zugehen.
In einem verzweifelten Aufwallen von Geistesgegenwart packte er Jorge, bevor dieser das Zelt betreten konnte, am Jackenaufschlag und stellte klar, dass er vor einer derartigen Geräuschkulisse nicht in der Lage wäre, einen gewissen Assistenten an seinen aktuellen Gedankengängen zu ihrem laufenden Fall teilhaben zu lassen.
Jorge schien kurz überlegen zu müssen, wer jener erwähnte Assistent sein mochte, dann nickte er. Mit einem angestrengten Rundblick über die Köpfe der Zwergenmassen hinweg erspähte er ein bedeutend kleineres Zelt aus weißen Stoffbahnen. Es lag abseits des ärgsten Trubels, in der hintersten Ecke der Grotte und weit entfernt vom Festzelt mit der Knaggelbühne, wo in unregelmäßigen Abständen verstandeszerrüttende Kreischlaute erzeugt wurden. Mit schaufelnden Armbewegungen bahnte Jorge ihnen einen Weg zum Eingang, und wenig später saßen sie im Innern des nur mäßig gefüllten Zelts an einem erstaunlich sauberen Tisch.
Hier war es deutlich leiser als draußen, wie Hippolit erleichtert feststellte, auch die Geruchsbelästigung hielt sich in Grenzen. Der Grund für die geringe Besucherzahl des Etablissements erschloss sich indes ebenfalls schnell: Das Zelt gehörte einer Barlyner Edelbrauerei, die ihre Erzeugnisse zu aberwitzig hohen Preisen unters Volk brachte – noch höheren, als es auf dem Markt ohnehin Usus war, wie Jorge verkündete. Hippolit suchte noch nach Worten, um seiner Empörung über die unverschämten Tarife Ausdruck zu verleihen, da offenbarte ihnen der Kellner, dass sie gar nichts zu zahlen brauchten, sollte es einem von ihnen gelingen, einen gewissen Herrn Horsten im Wetttrinken zu schlagen.
Das absurde Angebot stellte sich als Werbemaßnahme des Betreibers heraus, die mehr zahlende Gäste ins Zelt locken sollte, der erwähnte Herr Horsten als seit Urzeiten ungeschlagener Biertrink-Champion. Bevor Hippolit Anstalten machen konnte, sich zu erheben und das Zelt zu verlassen, hatte Jorge die Herausforderung bereits angenommen.
»Bitte sehr: Ihr Bier, Herr Horsten.«
Der Kellner stellte einen randvollen Steinkrug auf einem Tisch wenige Schritte neben ihnen. Herr Horsten, ein teigig aufgequollener Fettsack in kurzen, dunkelfleckigen Wildlederhosen, ergriff das Gefäß ohne Zögern und setzte es an die Lippen. Weder er noch der Bedienstete erweckten den Eindruck, als beunruhigte sie die Aussicht, Jorge könnte unter Umständen obsiegen, auch nur im Geringsten. Ein Blick auf Horstens kartoffelgroße, kraterzerfurchte Nase, in der jede erdenkliche Ader geplatzt schien, seine blicklos trüben Augen, die ihn als jeder menschlichen Gefühlregung beraubten Berufssäufer auszeichneten, ließ Hippolit argwöhnen, dass Jorge möglicherweise auf einen ebenbürtigen Gegner getroffen war, Größenunterschied hin oder her.
»Sag, wollten wir nicht irgendwas besprechen, M.H.?«
Jorges Stimme, neugierig und bislang erfreulich unbeeinträchtigt vom genossenen Alkohol, riss Hippolit aus seinen Betrachtungen. Er massierte sich die Schläfen, nahm einen großen Schluck aus dem Glas mit frischem Mineralquellwasser, das er zur großen Verwunderung des Kellners sowie der noch größeren Venvunderung Jorges bestellt hatte, und nickte. »Ich habe mir überlegt, dass es uns dem Verständnis des Gewirrs inkohärenter Fakten vielleicht etwas näher bringen könnte, wenn wir einmal stichpunktartig die Dinge zusammentragen, die wir bereits wissen.«
»Die wir bereits wissen? Das klingt gut, bei Batardos!«, fand Jorge und sah sich über die Schulter nach dem Kellner um, von dem er sich ein frisches Bier erhoffte. »Dürfte ich vielleicht anfangen? Dann bin ich nämlich im Handumdrehen fertig!«
»Ich habe mich nicht richtig ausgedrückt«, räumte Hippolit ein. »Unsere bisherigen Ermittlungen werfen diverse Fragen auf, die sich bislang nicht zufriedenstellend beantworten lassen. Möglicherweise bringt es uns weiter, sie konkret zu formulieren.«
»Aktueller Stand: Herr Horsten sieben, Herr Jorge sechs. Bitte sehr, der Herr!«
»Danke, du Guter!« Jorge griff nach dem neuen Krug. »Lass mich ein altes Trollsprichwort zitieren, M.H.: Konkret – das ist immer gut! Dann leg mal los!«
Hippolit holte tief Luft. »Frage eins, aus aktuellem Anlass: Warum musste Minister
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