Der Schakal
Grenzstationen eingegangenen Karten von gestern morgen zu sortieren. Sie sagen, es sind mehr als fünfundzwanzigtausend. Nur von gestern morgen! Ich hätte sie wohl doch nicht so anbrüllen sollen. Eines wissen wir jetzt wenigstens - er ist in Frankreich. Das steht fest. Wenn ich bei der Besprechung heute abend nicht irgend etwas Konkretes vorzuweisen habe, ziehen die mir die Haut ab. Oh, übrigens - rufen Sie doch bitte nochmals Superintendent Thomas an. Sagen Sie ihm, daß der Schakal in Frankreich ist und wir die Sache von hier aus handhaben.« Als Caron das Gespräch mit London beendet hatte, meldete sich die Zentrale des regionalen Dienstes der PJ in Lyon. Lebel lauschte gespannt und sah Caron dann triumphierend an. Er legte die Hand auf die Sprechmuschel.
»Wir haben ihn. Er ist gestern abend im Hôtel du Cerf in Gap abgestiegen und hat offenbar vor, zwei Tage dort zu bleiben.« Er nahm die Hand von der Muschel und sprach weiter mit Lyon.
»Hören Sie, Kommissar, ich kann Ihnen jetzt nicht erklären, warum wir diesen Mann fassen wollen. Sie müssen es mir schon abnehmen, daß es wichtig ist. Sie machen jetzt folgendes…« Er sprach zehn Minuten lang, und als er das Gespräch beendete, klingelte der auf Carons Schreibtisch stehende Telephonapparat. Es war nochmals die DST, die meldete, daß Duggan in einem gemieteten weißen Alfa-Romeo-Zweisitzer eingereist sei, der das polizeiliche Kennzeichen MI-61741 trug.
»Soll ich eine Suchmeldung an alle Gendarmerieposten und Polizeikommissariate durchgeben lassen?« fragte Caron.
Lebel überlegte einen Augenblick lang.
»Nein, noch nicht«, sagte er dann. »Wenn er irgendwo in der Gegend herumgondelt, würde er vermutlich von einem Landgendarmen angehalten werden, der meint, die Suche gelte bloß einem gestohlenen Sportwagen. Der Schakal legt jeden um, der sich ihm in den Weg stellt. Das Gewehr muß irgendwo im Wagen versteckt sein. Entscheidend ist, daß er sich für zwei Nächte in dem Hotel einquartiert hat. Wenn er zurückkommt, wird es von einer ganzen Armee umstellt sein. Ich will nicht, daß bei der Aktion jemand zu Schaden kommt, wenn es irgend zu vermeiden ist. Los jetzt, beeilen Sie sich, Caron. Der Hubschrauber wartet.«
Lebel wollte nicht das Leben irgendeines einzelnen motorisierten Polizisten aufs Spiel setzen.
Daß es ein Fehler war, sich von solchen Überlegungen leiten zu lassen, sollte er sehr bald erkennen.
Während Caron und er sich zum Aufbruch anschickten, waren in und um Gap alle verfügbaren Polizeikräfte fieberhaft damit beschäftigt, auf den Ausfallstraßen der Stadt und in der Umgebung des Hotels Straßensperren zu errichten. Die Anweisung dazu war aus Lyon gekommen. Dort und in Grenoble kletterten jetzt mit Maschinenpistolen und Karabinern bewaffnete Bereitschaftspolizisten in schwarze Mannschaftswagen. Und im Polizeilager Satory außerhalb von Paris wurde für Kommissar Lebel ein Hubschrauber flugklar gemacht.
Am frühen Nachmittag war die Hitze selbst im Schatten der Bäume drückend. Der Schakal hatte das Hemd ausgezogen und sich mit bloßem Oberkörper, Pinsel in der einen, Farbtopf in der anderen Hand, an die Arbeit gemacht.
Unmittelbar hinter Gap war er nach Westen abgebogen und über Veynes nach Aspres-sur- Buëch gefahren. Wie ein achtlos abgestreiftes Band schlängelte sich die zumeist bergab verlaufende Straße zwischen den Bergen hindurch. Er fuhr mit halsbrecherischer Geschwindigkeit und zog den Alfa mit quietschenden Reifen durch die engen Kurven, wobei er zweimal um ein Haar einen entgegenkommenden Wagen von der Straße gedrängt und in den Abgrund geschickt hätte. Hinter Aspres setzte er die Fahrt auf der RN93 fort, die dem Lauf der weiter westlich in die Rhône mündenden Drôme folgte.
Während der nächsten dreißig Kilometer hatte die Straße mehrfach den Fluß gekreuzt. Kurz hinter Luc-en-Diois hielt es der Schakal für an der Zeit, den Wagen in eine der zahlreichen Nebenstraßen zu lenken, die hügelan in die höher gelegenen Dörfer führten. Bei der nächsten Abzweigung bog er ein und folgte nach etwa drei Kilometer einem Pfad, der von der Nebenstraße weg nach rechts in einen Wald führte.
Nach zwei Stunden hatte er es geschafft. Der Wagen war leuchtend dunkelblau gestrichen und der Lack größtenteils schon trocken. Obschon alles andere als eine fachmännische Arbeit, würde sie besonders in der Dämmerung niemandem weiter auffallen, es sei denn, man schaute genauer hin.
Die beiden Nummernschilder waren
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