Der Schakal
»Blasen Sie die Suche ab«, sagte er dann. »Ich bin sicher, daß er weg ist.«
Er nahm den Hörer des zweiten Telephonapparats zur Hand und ließ sich mit dem Büro von Kommissar Lebel bei der Police Judiciaire verbinden.
Noch ehe der Donnerstagvormittag herum war, fühlte sich Inspektor Caron reif fürs Irrenhaus. Kurz nach zehn hatten die Engländer angerufen. Er selbst war am Apparat gewesen, dann aber, weilSuperintendent Thomas darauf bestand, Lebel zu sprechen, aufgestanden und zu dem in der Zimmerecke aufgestellten Feldbett hinübergegangen, um den schlafenden Inspektor wachzurütteln. Obwohl er aussah, als sei er schon vor einer Woche gestorben, hatte Lebel den Anruf entgegengenommen, den Hörer freilich gleich darauf Caron zurückgereicht, um sich von ihm übersetzen zu lassen, was Thomas ihm und was er seinerseits Thomas zu sagen hatte.
»Sagen Sie ihm«, wies er Caron an, als er die Nachricht verdaut hatte, »daß wir uns von hier aus mit den Belgiern ins Einvernehmen setzen. Sagen Sie ihm, daß ich ihm für seine Hilfe sehr, sehr dankbar bin und ihn, falls wir den Killer irgendwo auf dem Kontinent aufspüren sollten, sofort benachrichtigen werde, damit er seine Männer nach Hause schicken kann.« Sobald der Hörer aufgelegt war, sagte Lebel: »Geben Sie mir die Sûreté in Brüssel.«
Der Schakal wachte auf, als die Sonne schon hoch über den Hügeln stand und einen weiteren sommerlich heißen Tag ankündigte. Er duschte und zog sich den karierten Anzug an, den Marie-Louise, das Zimmermädchen, aufgebügelt hatte.
Kurz nach halb elf fuhr er im Alfa ins Städtchen, um von der Post aus ein Ferngespräch mit Paris zu führen. Als er zwanzig Minuten später das Postamt verließ, hatte er es offenkundig eilig. In einem nahe gelegenen Haushaltsgeschäft kaufte er eine große Dose mitternachtsblauen Hochglanzlack, eine kleinere Dose weißen Lack sowie einen spitzen Rund und einen breiten Flachpinsel, ferner einen Schraubenzieher. Dann fuhr er zum Hôtel du Cerf zurück und verlangte seine Rechnung.
Während sie ausgestellt wurde, ging er nach oben, packte rasch seine Koffer und trug sie selbst zum Wagen. Er verstaute die drei größeren Gepäckstücke im Kofferraum, legte die Reisetasche auf den Beifahrersitz und ging in die Hotelhalle, um die Rechnung zu begleichen. Der Portier, der den Wirt in der Rezeption abgelöst hatte, sagte wenig später aus, der Engländer habe nervös gewirkt; er schien in großer Eile gewesen zu sein und habe mit einem neuen Hundertfrancschein gezahlt.
Was er nicht erwähnte, weil er es nicht bemerkt hatte, war die Tatsache, daß der Engländer in seiner Abwesenheit - er war in das Geschäftszimmer gegangen, um den Schein zu wechseln, und hatte das Gästebuch, in das er die Namen der für jenen Tag erwarteten Gäste eintragen wollte, offen liegenlassen - die Eintragungen des Vortages überflogen hatte. Der Engländer hatte eine Seite zurückgeschlagen und sich die hinter dem Namen von Mme. la Baronne de la Chalonnière angegebene Adresse - Haute Chalonnière, Corrèze - gemerkt.
Wenige Minuten nachdem er die Rechnung beglichen hatte, war von der Auffahrt her das dröhnende Motorengeräusch des Alfa zu hören. Es wurde rasch schwächer, und bald hatte es sich gänzlich in der Ferne verloren.
Gegen Mittag rief die Brüsseler Sûreté Lebel in seinem Büro an, um zu melden, daß Duggan am Montag nur vier Stunden in der belgischen Hauptstadt verbracht hatte. Er war mit der BEA-Maschine aus London eingetroffen und am Nachmittag mit der Alitalia nach Mailand weitergeflogen. Das Ticket war am Schalter bar bezahlt, der Flug jedoch bereits zwei Tage zuvor telephonisch von London aus gebucht worden.
Lebel ließ sich sofort mit der Mailänder Polizeibehörde verbinden.
Kaum hatte er den Hörer aufgelegt, da klingelte das Telephon wiederum. Diesmal war es die DST, die ihn wissen ließ, daß sie soeben auf dem normalen Dienstweg eine Meldung erhalten hatte, derzufolge sich Alexander James Quentin Duggan unter den am gestrigen Vormittag über die Grenzstation Ventimiglia von Italien nach Frankreich eingereisten Touristen befunden habe.
Lebel bekam einen Tobsuchtsanfall.
»Fast dreißig Stunden«, schrie er, »länger als ein Tag!«
Er schmetterte den Hörer auf die Gabel. Caron zog die Brauen hoch.
»Die Grenzübertrittskarte«, erklärte Lebel resigniert, »hat so lange gebraucht, um von Ventimiglia nach Paris zu gelangen. Die Kollegen sind jetzt dabei, die inzwischen von allen
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