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Der Schakal

Der Schakal

Titel: Der Schakal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frederick Forsyth
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schliefen, in wenigen Sekunden geweckt und einsatzbereit sein. Die Fahrstuhltür im neunten Stock war von außen zugeschweißt worden, aber sobald das Licht über der des achten Stocks anzeigte, daß der Lift zum neunten hinauffuhr, wurde Alarm geschlagen. Es war nur ein einziges Mal geschehen, und das rein zufällig. Ein Page, der Drinks heraufbringen wollte, hatte den Knopf »Neun« gedrückt. Die Unart war ihm rasch abgewöhnt worden.
    Der Wachhabende am Empfangstisch telephonierte mit dem neunten Stock, um die Ankunft der Post zu melden, und gab Kowalsky ein Zeichen, nach oben zu gehen. Der Ex-Korporal hatte den an ihn gerichteten Brief bereits in seine innere Jackentasche gesteckt, während er die für seine Chefs bestimmte Post in einem an sein linkes Handgelenk geketteten Stahletui trug. Sowohl die Kette als auch der flache Stahlbehälter waren mit Schnappschlössern versehen, zu denen nur Rodin die Schlüssel besaß. Ein paar Minuten später waren beide vom OAS-Chef aufgeschlossen, und Kowalsky kehrte in sein Zimmer zurück, um zu schlafen, bevor er den Wachhabenden am Empfangstisch am späten Nachmittag ablöste.
    Auf seinem Zimmer im achten Stock las er schließlich den Brief, wobei er mit der Unterschrift begann. Er war überrascht, daß er von Kovacs sein sollte, den er seit einem Jahr nicht gesehen hatte und der so schlecht schreiben konnte, daß Kowalsky sich mit dem Lesen schwertat. Aber mit einiger Mühe gelang es ihm dann doch, den Brief zu entziffern. Er war nicht lang. Kovacs schrieb, er habe an dem Tag, an dem er diesen Brief abschickte, einen Bericht in der Zeitung gesehen, der ihm von einem Freund vorgelesen worden sei und besagte, daß Rodin, Montclair und Casson sich in dem Hotel in Rom versteckt hielten. Er habe angenommen, sein alter Kumpel Kowalsky würde bei ihnen sein, und daher auf die Möglichkeit hin, ihn auf diesem Weg zu erreichen, den Brief geschrieben.
    Es folgten mehrere Sätze des Inhalts, daß die Dinge in Frankreich, wo an jeder Straßenecke flies die Ausweise kontrollierten und noch immer Anweisungen zu neuen Einbrüchen in Juwelierläden kämen, von Tag zu Tag schwieriger würden. Er selbst habe bei vier solcher Überfälle mitgemacht, schrieb Kovacs, und ein Vergnügen sei das, weiß Gott, nicht gewesen, schon deswegen nicht, weil man das ganze Zeug habe abliefern müssen. Da habe er sich in den guten alten Zeiten in Budapest weit besser gestanden, obwohl die nur zwei Wochen gedauert hätten.
    Der letzte Satz berichtete davon, daß Kovacs vor einigen Wochen Michael getroffen habe, und Michael habe gesagt, daß er Jo-Jo gesehen habe, die gesagt habe, daß die kleine Sylvie krank sei und Leuko-irgendwas hätte. Jedenfalls hatte es damit zu tun,daß mit ihrem Blut etwas nicht in Ordnung sei, aber er, Kovacs, hoffe, daß sie bald wieder gesund würde, und Viktor solle sich keine Sorgen machen.
    Aber Viktor machte sich Sorgen. Der Gedanke daran, daß die kleine Sylvie krank war, beunruhigte ihn sehr. In den sechsunddreißig gewalttätigen Jahren seines Lebens hatte es nicht sonderlich vieles gegeben, was Viktor Kowalsky unter die Haut gegangen war. Als die Deutschen in Polen einmarschierten, war er zwölf Jahre alt gewesen, und ein Jahr älter, als seine Eltern in einem grauen Lastwagen abgeholt wurden - alt genug, um zu wissen, was seine Schwester in dem großen, hinter der Kathedrale gelegenen Hotel tat, das von den Deutschen übernommen worden war und von ihren Offizieren rege besucht wurde. Seine Eltern hatten sich so sehr darüber empört, daß sie sich bei der Dienststelle des Militärbefehlshabers beschwerten. Er war alt genug, sich den Partisanen anzuschließen. Seinen ersten Deutschen hatte er mit fünfzehn getötet. Er war siebzehn Jahre alt, als die Russen kamen, aber seine Eltern hatten sie stets gefürchtet und gehaßt und ihm schaurige Geschichten von dem erzählt, was sie den Polen antaten, und so trennte er sich von der Partisanengruppe, die später auf Befehl des Kommissars exekutiert wurde, schlug sich nach Westen in die Tschechoslowakei durch und landete schließlich in einem Lager für Displaced Persons in Österreich. Man hielt den hochaufgeschossenen, grobknochigen Jungen, der nur Polnisch sprach und vom Hunger geschwächt war, für einen der unzähligen hilflosen Entwurzelten, die ziellos im Nachkriegseuropa umherwanderten. Amerikanische Verpflegung ließ ihn rasch wieder zu Kräften kommen. Eines Nachts im Frühjahr 1946 entwich er aus dem Lager, machte

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