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Der Schakal

Der Schakal

Titel: Der Schakal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frederick Forsyth
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war Madame hocherfreut. Und so war denn alles klar.
    Viktor kehrte nach Algerien zurück, wo er Major Rodin, der jetzt ein Bataillon befehligte, wieder zugeteilt wurde, und zog mit ihm in einen neuen Krieg. In Marseille überwachten Jo- Jo und seine Frau die schwangere Julie und bedachten sie abwechselnd mit Drohungen und Schmeicheleien. Als Viktor Marseille verließ, war sie bereits im vierten Monat, und wie Jo-Jo dem Zuhälter mit dem gebrochenen Unterkiefer, der sich sehr bald wieder eingefunden hatte, unmißverständlich zu verstehen gab, kam eine Abtreibung nicht mehr in Frage. Der Bursche hatte inzwischen begriffen, daß es nicht ratsam war, sich mit Fremdenlegionären, und sei es auch nur ein Veteran mit einem Holzbein, ernstlich anzulegen ; er stieß obszöne Verwünschungen gegen die vormalige Quelle seines Einkommens aus und sah sich anderweitig um.
    Ende 1955 gebar Julie ein blauäugiges, goldhaariges Mädchen. Mit Zustimmung der Mutter reichten Jo-Jo und seine Frau einen vorschriftsmäßig ausgefüllten Adoptionsantrag ein, der genehmigt wurde. Julie nahm ihr altes Leben wieder auf, und die Jo­ jos hatten eine Tochter. Sie unterrichteten Viktor brieflich, den auf seinem Strohsack in der Kaserne ein seltsames Glücksgefühl überkam. Aber er sprach mit niemandem darüber. Soweit er zurückdenken konnte, hatte er nie etwas besessen, was ihm nicht, sobald er anderen davon Mitteilung machte, fortgenommen worden war.
    Ungeachtet dessen hatte er drei Jahre später, bevor ihn ein langfristiger Kampfauftrag in die algerischen Berge führte, den Vorschlag des Kaplans, sein Testament zu machen, akzeptiert. Von selbst wäre er schon deswegen nie auf die Idee gekommen, weil er in den wenigen dienstfreien Tagen regelmäßig seinen gesamten aufgelaufenen Sold in den Kneipen und Bordellen der Städte auszugeben pflegte, und was er sonst besaß, gehörte der Legion. Aber der Kaplan versicherte ihm, daß es in der heutigen Legion keineswegs unüblich sei, ein Testament zu machen, und mit freundlicher Hilfe des Geistlichen setzte Kowalsky seines auf. Er vermachte seine gesamte bewegliche Habe der Tochter des derzeit in Marseille wohnhaften ehemaligen Fremdenlegionärs Josef Grzybowski. Eine Kopie dieses Dokuments wurde zusammen mit seinen restlichen Personalunterlagen dem Ministerium der bewaffneten Streitkräfte in Paris übersandt und im dortigen Archiv abgelegt. Als Kowalskys Name den französischen Sicherheitsbehörden im Zusammenhang mit den 1961 in Bone und Constantine verübten Terrorakten zur Kenntnis gelangte, wurde seine Personalakte zusammen mit vielen anderen ausgegraben und Oberst Rollands Aktionsdienst übersandt. Ein Besuch bei den Grzybowskis in Marseille folgte, und die Geschichte war heraus. Aber Kowalsky erfuhr nie etwas davon.
    Er hatte seine Tochter zweimal in seinem Leben gesehen, das erstemal 1957, als er am Oberschenkel verwundet und auf Genesungsurlaub nach Marseille geschickt worden war, und dann wieder 1960, als er Oberstleutnant Rodin, der als Zeuge bei einer Militärgerichtsverhandlung in Marseille erscheinen mußte, dienstlich begleitete. Beim ersten Besuch war das kleine Mädchen zwei, beim nächsten viereinhalb Jahre alt gewesen. Mit Geschenken für die Jo-Jos und Spielzeug für Sylvie beladen, war Kowalsky angekommen.
    Das kleine Kind und sein bärenstarker Onkel Viktor hatten sich gut verstanden. Aber er sprach mit niemandem darüber, nicht einmal mit Rodin. Und jetzt hatte sie Leuko-irgendwas, und Kowalsky war den restlichen Vormittag hindurch außerordentlich beunruhigt. Nach dem Mittagessen ging er nach oben, um sich das Stahletui für die Post ans Handgelenk ketten zu lassen. Rodin erwartete einen wichtigen Brief aus Frankreich, der weitere Einzelheiten über die Höhe der Gesamtsumme enthielt, die durch die von Cassons kriminellen Untergrundelementen während des letzten Monats ver-übten Banküberfälle und Einbrüche erbracht worden war, und wollte daher, daß Kowalsky am Nachmittag nochmals zum Postamt ging.
    »Was ist Leuko-irgendwas?« brach es unvermittelt aus dem Korporal hervor. Rodin, der ihm die Kette ans Handgelenk schloß, blickte überrascht auf.
    »Davon habe ich noch nie etwas gehört«, sagte er.
    »Es ist eine Blutkrankheit«, fügte Kowalsky hinzu.
    Casson, der in einer anderen Ecke des Hotelzimmers saß und in einem Magazin blätterte, lachte.
    »Sie meinen Leukämie«, sagte er.
    »Ja. Was ist das, Monsieur?«
    »Es ist Krebs«, sagte Casson.

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