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Der Schatten des Chamaeleons

Titel: Der Schatten des Chamaeleons Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Minette Walters Mechtild Sandberg-Ciletti
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ins Gesicht und knallte schließlich mit dem Unterarm seine künstlich wiederaufgebaute Wange gegen das Fenster …
     
    »Harry war Bob Peels Ältester. Er war eine Weile beim Militär, dann ist er in die Fußstapfen seines Vaters getreten und hat am Hafen gearbeitet - bis Maggie Thatcher mit den Gewerkschaften Krach bekam und die Werften an Bauträger verkaufte.«

    Pat trank nachdenklich einen Schluck von dem Bier, das Jones ihm spendiert hatte. »Walter und ich haben immer gewusst, dass Harry ein bisschen bi war - immer adrett, immer auf sein Äußeres bedacht -, aber für Bob war’s ein Schock. Er hoffte, beim Militär würden sie Harry Vernunft beibringen, und als das nicht geschah, hat er ihn kurzerhand mit Fred Leemings Tochter verheiratet.«
    »Debbie.«
    »Genau. Sie haben keine Kinder bekommen, das war wirklich schade. Bob hat Harrys weibischem Getue die Schuld dran gegeben, aber Harry hat mir mal unter vier Augen gesagt, dass es an Debbie lag. Sie hatte so ein paar Frauenprobleme - eine Geschwulst und so was. Hatte eine Totaloperation, noch bevor sie vierzig war.« Er versank in Schweigen, als hätte er vergessen, worüber er gesprochen hatte.
    »Sie sagten, dass Sie häufiger mit Harry zusammen waren, nachdem er sich von Debbie getrennt hatte«, bemerkte Nick Beale auffordernd.
    »Stimmt. Er war einsam, der arme Kerl. Sein Vater ist schon zwanzig Jahre tot, aber seine Mutter starb 1999 genau in der Silvesternacht. Sie hat das neue Jahrtausend nicht mehr erlebt. War vielleicht auch gut so. Der Mord an ihrem Sohn hätte ihr das Herz gebrochen.« Er senkte den Kopf, um noch einen Schluck Bier zu trinken. »Walter und ich haben ihn aufzumuntern versucht. Meistens ist er abends Taxi gefahren, aber so gegen sechs hat er eigentlich immer auf einen Orangensaft hier hereingeschaut. Er war ein guter Junge - natürlich nicht meine Generation -, ich war ja der Freund seines Vaters.« Er sah den Superintendent mit einem zerstreuten Lächeln an. »Haben Sie Bob Peel gekannt? Er hat unten am Hafen gearbeitet -«
    Derek Hardy mischte sich ein. »Die wollen was über Harry wissen, Pat. Sie müssen ihnen von den Männern erzählen, die er in sein Apartment mitgenommen hat.«
    »Dreckige Diebe, wenn Sie mich fragen«, erklärte der alte
Mann mit angewidert herabgezogenen Mundwinkeln. »Ich will nicht behaupten, dass ich gut fand, was Harry getrieben hat - der arme alte Bob würde sich im Grab umdrehen, wenn er’s wüsste -, aber Walter sagte immer, dass es Dinge gibt, gegen die man nicht ankann, und letztlich muss jeder selbst es wissen. Er ist ja selber auch ein bisschen so. Er und May sind ganz ordentlich miteinander ausgekommen, aber die große Liebe war’s nicht gerade.«
    »Sie hatten drei Kinder«, bemerkte Jones.
    »Ich hab nicht gesagt, dass er nicht seine Pflicht getan hat, aber danach hat er’s gut sein lassen. Meine Frau hat gesagt, May wär bestimmt nicht böse drüber gewesen - wissen Sie, damals hat sich eben noch nicht alles um Sex gedreht, da hat jeder einfach versucht, das Beste aus seinem Leben zu machen.« Er nahm noch einen Schluck Bier. »Er und May waren ganz zufrieden miteinander, aber es lässt sich nicht leugnen, dass Walter lieber hier mit Harry und mir zusammenhockte, als daheim bei seiner Frau zu bleiben. Aber ich glaube nicht, dass May es gewusst hat. Walter hätte ihr das nie gesagt, er wollte ihr nicht wehtun.«
    Dieses Lied kannte Jones. Seine Leute hatten mit mindestens fünfzig Männern gesprochen, die ihren Familien unbedingt verheimlichen wollten, dass sie ein Doppelleben führten. Kevin Atkins’ Frau hatte es besonders bewegend ausgedrückt. »Hätte er uns weniger geliebt, dann wäre er jetzt wahrscheinlich noch am Leben. Er hat sich größte Mühe gegeben, diese Seite seines Lebens geheim zu halten - nur damit seine Kinder sich nicht seinetwegen schämen müssen.«
    »Haben sich Walter und Harry nach Mays Tod zusammengetan?«, fragte er Pat.
    »Geht mich nichts an - ich habe nie gefragt.«
    »Und andere Männer?«
    »Reden Sie immer noch von Walter?«
    Jones nickte.
    »Glaub ich nicht - ich denke mal, das, was Harry passiert ist, hat ihn abgeschreckt.«

    »Sie meinen Harrys Ermordung?«
    »Nein, da war vorher schon was. Da haben sie Harry um fünfhundert Pfund erleichtert. Ich hab den armen Kerl nie so fertig gesehen. Sie hätten ihm ein Messer an die Kehle gedrückt, sagte er, und ihn gezwungen, zum Bankautomaten zu gehen und zweimal je zweifünfzig abzuheben, den einen Betrag

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