Der Schatten des Chamaeleons
Persönlichkeit«, sagte sie ruhig. »Sie kann verschiedene Reaktionen hervorrufen - Euphorie, erhöhte sexuelle Gefühle, ungeheures Selbstvertrauen -, aber man würde nie auf den Gedanken kommen, dass diese Phänomene auf eine Droge zurückgehen, wenn es einem nicht gesagt würde. Die Kehrseite sind Aggressivität und Paranoia, besonders bei Langzeitabhängigen.«
Acland sagte nichts.
»Wann haben Sie es gemerkt?«
»Was? Die Drogen oder die Prostitution?«
»Beides.«
»An dem Tag, an dem ich Schluss gemacht habe.«
»Ende September.«
»Nein. Eher Anfang. Es hat ihr gar nicht gepasst, dass ich derjenige war, der Schluss machte. Kein Mann lässt Jen Morley einfach sitzen - nicht ohne vorher zum Idioten gemacht zu werden.«
Jackson hielt vor dem Haus ihres nächsten Patienten und schaltete den Motor aus. Sie fand die Zeitangaben und die Details darüber, wann und wie er die Verlobung gelöst hatte, verwirrend. »Warum sind Sie Ende September noch einmal hingefahren?«
Acland begann seine Hände zu kneten. »Ich wollte meine Sachen holen. Sie sollte gar nicht da sein. Wir hatten ausgemacht, dass ich meinen Schlüssel benutze und ihn dalasse, wenn ich gehe. Sie hat sich an diese Abmachung genauso wenig gehalten wie an jede andere.«
»Es wundert mich, dass Sie glaubten, ihr vertrauen zu können.«
Er blickte zu seinen Händen hinunter. »Ich habe ihr nicht vertraut. Ich hoffte nur, sie wäre ein kleines bisschen klüger.«
Beale lenkte seinen Toyota in eine Parklücke vor dem Crown und beugte sich vor, um eine Frau zu beobachten, die aus der Seitentür des Pubs trat. »Sehen Sie die Blonde?«, fragte er Jones. »Das ist Jen Morley, Aclands Ex. Das Callgirl, mit dem Khan und ich neulich Abend gesprochen haben. Die denkt, sie sieht aus wie Uma Thurman.«
Der Superintendent musterte das streng nach hinten genommene Haar und das hochgeschlossene, eng sitzende Kostüm, das die Frau anhatte. »Heute Abend könnte man sie wirklich mit ihr verwechseln. Nicht übel.«
Sie ging zu einem wartenden Taxi. Hinten stieg ein kleiner, rundlicher Mann aus und hielt ihr die Tür auf.
»Haben Sie mal nachgesehen, ob wir was über sie haben?«, fragte Jones, den Blick auf das davonfahrende Taxi gerichtet.
»Sie wurde vor zwei Jahren bei einer Drogenrazzia in Süd-London festgenommen. Sie gehörte zu denen, die zur falschen Zeit bei ihrem Dealer vorbeigeschaut haben. Sie wurde verwarnt, aber nicht belangt. Sonst habe ich nichts gefunden.«
Jones schaute wieder zu dem dunklen Gang neben dem Pub hinüber. »Was spricht dafür, dass sie sich da hinten was geholt hat?«
»Sehr viel«, meinte Beale sachlich. »So wie Khan und ich sie neulich Abend erlebt haben, scheint es schlimm um sie zu stehen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass sie zwei Stunden mit einem Freier ohne ein bisschen Hilfe durchhält.«
London Evening Standard -
Mittwoch, 15. August 2007
Leiche im Fluss gefunden
Eine männliche Leiche wurde heute Morgen in der Gegend von Woolwich aus der Themse geborgen. Die Identität des Toten ist unbekannt. Es handelt sich um einen mittelgroßen Mann mit grau meliertem dunklem Haar. Der Tote trug eine braune Jacke. Die Ermittlungen der Polizei dauern noch an.
22
Das Crown war kleiner als das Bell , drinnen war es dunkler und nicht so laut, obwohl genug Gäste da waren. Sie schienen im Durchschnitt älter als die Endzwanziger, die Daisy anlockte, und das Lokal zeichnete eher gutbürgerliche Gesetztheit aus als die lärmende Lockerheit der jüngeren Klientel des Bell . Gleich als sie eintraten, fragten sich Jones und Beale, ob es jugendliche Prostituierte überhaupt hierherzog, ob man sie hier überhaupt hereinließ. Auf der Bar stand unübersehbar ein Schild mit der Aufschrift: »Der Ausschank von Alkohol an Minderjährige ist nicht gestattet. Die Vorlage eines Ausweises kann jederzeit verlangt werden.«
Wenn der Wirt den beiden Männern ansah, dass sie von der Polizei waren, so ließ er sich nichts anmerken. Er unterbrach das Gespräch mit einem anderen Gast und näherte sich ihnen lächelnd. »Was darf’s sein, die Herren?«
Jones nahm seine Brieftasche heraus und wies mit einem Nicken auf einen der Zapfhähne. »Ich nehme von dem Spezial. Und Sie, Nick?«
»Das Gleiche, danke.«
Der Mann behielt sie im Blick, während er das erste Glas zapfte. »Gibt’s was Neues von Walter?«, erkundigte er sich freundlich. »Wir haben ihm alle die Daumen gedrückt. Es heißt, dass er wieder bei Bewusstsein ist. Stimmt
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