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Der Schatten des Folterers

Der Schatten des Folterers

Titel: Der Schatten des Folterers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gene Wolfe
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älter bist – das habe ich an mir selbst festgestellt, und ich weiß, ich kann mich auf deine Verschwiegenheit verlassen –, schießt dir etwas in den Kopf und du merkst, daß sie gar nicht der Achsnagel des Universums, sondern nur ein gutbezahltes, unbeliebtes Gewerbe ist, in das man zufällig hineingeraten ist.«
    Wie Roche vorausgesagt hatte, standen Kutschen (es waren drei) auf dem Bruchhof. Eine davon mit Wappenbildern an den Türen und Kutschern in schmucker Livree war den Beglückten vorbehalten, die beiden anderen aber waren kleine, schlichte Fiaker. Die Fuhrmänner bückten sich, die Pelzmütze tief ins Gesicht gezogen, über ein Feuer, das sie auf dem Pflaster entfacht hatten. Von weitem durch den fallenden Schnee betrachtet, wirkte es nicht größer als ein Fünkchen.
    Rufend winkte Roche mit dem Arm, und ein Fuhrknecht schwang sich auf den Bocksitz, knallte mit der Peitsche und rollte auf uns zu. Nachdem wir eingestiegen waren, fragte ich Roche, ob der Mann wisse, wer wir seien, und er gab zur Antwort: »Wir sind zwei Optimaten, die in der Zitadelle etwas erledigt haben und nun, einem vergnüglichen Abend entgegensehend, ins Echopraxia unterwegs sind. Das ist alles, was er weiß und wissen muß.«
    Ich überlegte, ob Roche in derlei Vergnügungen viel erfahrener als ich sei. Es schien unwahrscheinlich. Um herauszufinden, ob er unser Ziel schon einmal aufgesucht hätte, fragte ich, wo das Echopraxia liege.
    »Im Algedonischen Viertel. Schon davon gehört?«
    Ich nickte und erwiderte, Meister Palaemon habe es einmal als einen der ältesten Stadtteile erwähnt.
    »Nicht ganz. Die südlicheren Gebiete sind noch älter, eine Steinwüste, in der nur Omophagisten hausen. Die Zitadelle lag einst ein Stück nördlich von Nessus, wußtest du das?«
    Ich schüttelte den Kopf.
    »Die Stadt dehnt sich immer weiter flußaufwärts aus. Die Waffenträger und Optimaten wollen reineres Wasser – nicht etwa zum Trinken, sondern für ihre Fischteiche, zum Schwimmen und Bootfahren. Andrerseits ist jeder, der zu nahe an der See wohnt, stets anrüchig. So werden also die unteren Gegenden, wo das Wasser am schlechtesten ist, allmählich aufgegeben. Zuletzt zieht sich auch das Rechtswesen zurück, und die Verbliebenen scheuen sich, ein Feuer anzumachen, aus Angst vor dem, was sein Rauch auf sie herabbeschwören könnte.«
    Ich blickte zum Fenster hinaus. Wir hatten bereits ein mir unbekanntes Tor mit behelmten Wachtposten passiert, befanden uns aber noch innerhalb der Zitadelle; die Fahrt ging nun über eine schmale, abschüssige Einfriedung zwischen zwei mit Läden verschlossenen Fensterreihen.
    »Wenn du Geselle bist, kannst du in die Stadt, wann immer du willst, vorausgesetzt du hast nicht Dienst.«
    Das war mir natürlich längst bekannt; aber ich befragte Roche, ob er das für angenehm hielt.
    »Nicht gerade angenehm ... Offengestanden war ich erst zwei Mal. Nicht angenehm, aber interessant. Jeder weiß natürlich, wer du bist.«
    »Du hast gesagt, der Fuhrknecht wisse es nicht.«
    »Er wohl nicht. Diese Fuhrmänner ziehen durch ganz Nessus. Er kann überall wohnen und nicht mehr als ein Mal pro Jahr zur Zitadelle kommen. Aber die Ortsansässigen wissen's. Die Soldaten sagen es. Die wissen's immer und sagen's immer, wie man überall hört. Sie dürfen beim Ausgang Uniform tragen.«
    »Diese Fenster sind alle dunkel. Ich glaube, in diesem Teil der Zitadelle wohnt gar keiner.«
    »Alles wird kleiner. Dagegen kann man nicht viel ausrichten. Weniger Nahrung bedeutet weniger Menschen, bis die neue Sonne kommt.«
    Trotz der Kälte war mir in der Kutsche schier zum Ersticken zumute. »Ist's noch weit?« wollte ich wissen.
    Roche schmunzelte. »Du mußt ja nervös sein.«
    »Nein, bin ich nicht.«
    »Sicher bist du. Aber mach dir nichts daraus. Ist normal. Werd' nicht nervös, weil du nervös bist, wenn du verstehst, was ich meine.«
    »Ich bin ganz ruhig.«
    »Es kann auch schnell gehen, wenn du das willst. Du mußt gar nicht mit der Frau reden, wenn du nicht magst. Ihr ist's egal. Natürlich redet sie mit dir, wenn du darauf aus bist. Sie macht alles, was du willst – innerhalb gewisser Grenzen. Wenn du sie schlägst oder einen Griff anwendest, kostet's mehr.«
    »Tun Leute so etwas?«
    »Amateure, weißt du. Ich glaube nicht, daß du so etwas willst, und ich glaube nicht, daß einer aus der Zunft das will, es sei denn, er ist betrunken.« Nach einer Pause fügte er hinzu: »Die Frauen brechen das Gesetz, also können sie

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