Der Schatten des Folterers
ovales, vollendetes Gesicht zierten klare Augen, ein wohlgeformtes Naschen und ein kleiner Mund, der bemalt war, um größer zu wirken. Ihr Haar glänzte so sehr wie poliertes Gold, daß es eine Perücke aus Golddraht hätte sein können.
Ein, zwei Schritte vor uns stellte sie sich in Pose und begann sich zu drehen, wobei sei hundert gefällige Figuren zum besten gab. Damals hatte ich noch nie eine echte Tänzerin gesehen; sogar bis heute ist mir nicht wieder eine so wunderhübsche vor Augen gekommen. Was ich fühlte, als ich ihr in diesem seltsamen Zimmer zusah, kann ich nicht in Worte fassen.
»Alle Schönheiten des Hofes sind hier für Euch versammelt. Hier im Azurnen Haus, des Nachts von den goldenen Mauern hergeflogen, um in Eurem Ergötzen Zerstreuung zu finden.«
Halb hypnotisiert, wie ich war, nahm ich seine dreiste Versicherung für bare Münze. »Das kann bestimmt nicht sein«, versetzte ich.
»Ihr kämet hierher, um Euch zu vergnügen, nicht wahr? Warum einen Traum, der Eure Wonne vermehrt, anfechten?« Die ganze Zeit über setzte das Mädchen mit dem Goldhaar ihren bedächtigen, einsamen Tanz fort.
Moment um Moment verfloß.
»Mögt Ihr sie?« fragte unser Wirt. »Wählt Ihr sie?«
Ich wollte schon sagen – vielmehr schreien, denn alles in mir, was je eine Frau begehrt hatte, begehrte sie nun – daß ich sie möchte. Aber bevor ich Luft holen konnte, sagte Roche: »Schauen wir uns noch ein paar andere an.« Das Mädchen beendete augenblicklich seinen Tanz, machte einen Knicks und verließ das Zimmer.
»Ihr könnt mehr als eine haben, wißt ihr. Getrennt oder gemeinsam. Wir haben einige sehr geräumige Betten.« Wieder öffnete sich die Tür.
»Die Chatelaine Gracia.«
Obschon diese Dame recht anders aussah, erinnerte mich viel an ihr an die »Chatelaine Barbea«, die vor ihr aufgetreten war. Ihr Haar war weiß wie die Flocken, die vor den Fenstern niederfielen, was ihr jugendliches Gesicht noch jünger und ihren dunklen Teint noch dunkler erscheinen ließ. Sie hatte (wie ich wenigstens glaubte) größere Brüste und üppigere Hüften. Dennoch hielt ich es für möglich, daß es dieselbe Frau war, die sich in den paar Sekunden zwischen dem Abgang der anderen und ihrem eigenen Auftritt umgekleidet, eine andere Perücke aufgesetzt und das Gesicht mit Schminke betupft hatte. Obzwar absurd, enthielt es doch ein Fünkchen Wahrheit, wie so viele Absurditäten.
In den Augen dieser beiden Damen, im Ausdruck ihres Mundes und in ihrem fließenden Gebaren lag etwas Einheitliches. Mir fiel etwas ein, das ich schon irgendwo gesehen hatte (wo genau, das war mir entfallen); trotzdem war es etwas Neues, und ich hatte das Gefühl, daß das andere, das ich von früher kannte, vorzuziehen wäre.
»Nehm' ich«, sagte Roche. »Nun müssen wir noch etwas für meinen Freund hier finden.« Die dunkle Dame, die nicht wie die andere getanzt, sondern nur lächelnd, knicksend und sich drehend in der Mitte des Zimmers gestanden hatte, ließ ihr Lächeln nun etwas breiter geraten, ging zu Roche, setzte sich auf die Armlehne seines Stuhls und fing mit ihm zu flüstern an.
Als die Tür sich ein drittes Mal öffnete, sagte unser Wirt: »Die Chatelaine Thecla.«
Sie war's offenbar wirklich, so wie ich sie in Erinnerung hatte – doch wie sie entkommen war, das war mir ein Rätsel. Schließlich sagte mir meine Vernunft, und nicht meine Beobachtungsgabe, daß ich irrte. Ob mir Unterschiede aufgefallen wären, hätten die beiden Seite an Seite gestanden, weiß ich nicht, obschon diese Frau zweifellos etwas kleinwüchsiger gewesen ist.
»Sie wollt Ihr also«, kam es von unserem Wirt. Ich konnte mich nicht erinnern, gesprochen zu haben.
Roche trat mit seiner Lederbörse vor und erklärte, er werde für uns beide bezahlen. Ich sah ihm zu, als er die Münzen herausnahm, weil ich hoffte, einen Chrysos aufblitzen zu sehen. Aber es war keiner dabei – nur ein paar Asimi.
Die »Chatelaine Thecla« nahm mich bei der Hand. Der Duft, der von ihr ausströmte, war stärker als das leichte Parfüm der echten Thecla; dennoch war es der gleiche Duft, der mich an glühende Rosen denken ließ. »Komm!« sagte sie.
Ich folgte ihr. Zuerst schritten wir durch einen spärlich beleuchteten und nicht sehr sauberen Korridor, dann über eine schmale Treppe. Ich erkundigte mich, wie viele vom Hofe hier seien, woraufhin sie innehielt und schief auf mich herabsah. Etwas an ihrem Mienenspiel erinnerte mich an geschmeichelte Eitelkeit, Liebe oder jenes
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