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Der Schatten des Folterers

Der Schatten des Folterers

Titel: Der Schatten des Folterers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gene Wolfe
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lasse dich von jemandem an einen Ort geleiten, wo solche Leiden rasch geheilt werden.«
    »Wie Ihr wünscht, Meister.«
    »Was? Du bedankst dich gar nicht?«
    »Danke, Meister«, sagte ich.
    Gurloes war einer der kompliziertesten Männer, die ich kannte, weil er als komplexe Persönlichkeit ein einfacher Mensch sein wollte. Einfach nicht im Sinne eines einfachen, sondern eines komplizierten Menschen. Genauso wie ein Höfling sich einen brillanten und verwickelten Schliff verleiht – halb Ballettmeister, halb Diplomat, notfalls auch ein wenig von einem Meuchelmörder – so hat Meister Gurloes sich zu dem dümmlichen Mann entwickelt, den ein Herold oder Büttel erwartet, wenn er das Haupt unserer Gilde vorlädt; aber das ist das einzige, was ein richtiger Folterer nicht sein kann. Die Belastung war offensichtlich; obschon alles an Gurloes so war, wie es hätte sein sollen, paßte nichts zusammen. Er trank stark und litt unter Alpträumen, aber er bekam die Alpträume, wenn er getrunken hatte, als ob der Wein, anstatt die Pforten zu seinem Gemüt zu verriegeln, sie aufstieße, so daß der Geplagte durch die letzten Nachtstunden taumelte und nach der Sonne Ausschau hielt, die noch nicht aufgegangen war; einer Sonne, welche die Gespenster aus seiner großen Kammer vertriebe und ihm gestattete, sich anzukleiden und die Gesellen an die Arbeit zu scheuchen. Manchmal stieg er in die Turmspitze über den Kanonen hinauf und verweilte dort im Selbstgespräch, wobei er durch das Glas blickte, das für das erste Licht angeblich dichter als Flint ist. Er war der einzige in unserer Zunft – Meister Palaemon nicht ausgenommen –, der keine Angst vor den dortigen Energien und den unsichtbaren Mündern hatte, die zuweilen bald zu Menschen, bald zu anderen Mündern in den Wach- und Wehrtürmen sprachen. Er liebte Musik, aber er klopfte dazu auf seine Armlehne und stapfte auf den Boden, und das am schwungvollsten zu den Weisen, die ihm am meisten zusagten: Melodien mit einem so zarten Rhythmus, daß gar kein richtiger Takt vernehmbar war. Er aß zu viel und zu selten, las, wenn er sich unbeobachtet fühlte, und besuchte gewisse Klienten von uns (so auch einen im dritten Geschoß), mit denen er Gespräche führte, die keiner von uns im Korridor draußen Lauschenden verstehen konnte. Seine Augen glänzten heller als Frauenaugen. Er schrieb ganz gebräuchliche Wörter falsch: Nesselpeitschung, Eileiter, Register. Ich kann euch nicht gut sagen, wie schlecht er ausgesehen hat, als ich unlängst zur Zitadelle zurückgekehrt bin, und wie schlecht er nun aussieht.

Der gewandte Gesellschafter
    Am nächsten Tag brachte ich Thecla zum ersten Mal ihr Abendessen. Eine Wache lang blieb ich bei ihr, häufig von Drotte durch den Schlitz in der Zellentür kontrolliert. Wir machten Wortspiele, bei denen sie viel besser war als ich, und sprachen nach einer Weile über jene Dinge, welche die Zurückgekehrten vom sogenannten Jenseits berichteten, wobei sie wiedergab, was sie in dem kleinsten der von mir gebrachten Bücher gelesen hatte – nicht nur die anerkannten Überzeugungen der Hierophanten, sondern auch ungewöhnliche und ketzerische Theorien verschiedener Art.
    »Wenn ich frei bin«, erklärte sie, »werde ich meine eigene Sekte gründen. Allen will ich sagen, daß mir während meines Aufenthalts bei den Folterern die Weisheit offenbart worden ist. Darauf wird man hören.«
    Ich fragte, was ihre Lehre sein werde.
    »Daß es keinen Agathodaemon und kein Leben nach dem Tode gibt. Daß der Tod den Geist auslöscht wie der Schlaf, nur gründlicher.«
    »Aber wer, wollt Ihr sagen, hat Euch das offenbart?«
    Sie schüttelte den Kopf und stützte dann ihr spitzes Kinn in eine Hand, was die anmutige Rundung ihres Nackens vorzüglich hervorhob.
    »Darüber bin ich mir noch nicht schlüssig. Ein Engel aus Eis, vielleicht. Oder ein Gespenst. Was findest du besser?«
    »Liegt darin kein Widerspruch?«
    »Stimmt.« In ihrer Stimme schwang kräftig das Vergnügen mit, das die Frage ihr vermittelt hatte. »Auf diesem Widerspruch wird die Anziehung dieses neuen Glaubens beruhen. Man kann eine neue Theologie nicht auf nichts aufbauen, und nichts ist eine so sichere Grundlage wie ein Widerspruch. Schau dir die großen Erfolge der Vergangenheit an – sie sagen, ihre Götter seien die Herren aller Welten, und dennoch brauchen sie Großmütter zu ihrer Verteidigung, als ob sie von Federvieh erschreckte Kindlein wären. Oder daß der Allmächtige keinen bestraft, so

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