Der Schatten des Folterers
sich nicht beklagen.«
Gefährlich schlitternd, rollte der Fiaker aus der Einfriedung in eine noch schmalere, die kurvenreich nach Osten führte.
Das Azurne Haus
Unser Ziel war einer dieser verwachsenen Bauten aus den älteren Stadtteilen (die man meines Wissens woanders auch nicht zu sehen bekommt), wo die Anreihung und Verbindung von ursprünglich freistehenden Häusern ein Durcheinander vorspringender Flügel und architektonischer Stile zur Folge haben, wo Giebel und Türmchen aufragen, während der erste Bauherr nur ein Dach vorgesehen hat. Hier hatte es stärker geschneit – oder einfach nur länger im Laufe unserer Kutschfahrt. Das Weiß schmiegte sich in ungeformten Dämmen an die hohen Säulengänge, verwischte nebelhaft die Umrisse des Eingangs, polsterte kissenartig die Fenstersimse und schien, die hölzernen, das Dach tragenden Karyatiden maskenhaft umhüllend, Geborgenheit, Ruhe und Verschwiegenheit zu versprechen.
Es brannten schwache gelbe Lichter in den unteren Fenstern. Die Obergeschosse waren dunkel. Trotz des Schneetreibens mußte drinnen jemand unsere Schritte gehört haben. Die große, alte Tür, die nicht mehr in bestem Zustand war, tat sich auf, ehe Roche klopfen konnte. Wir traten ein und fanden uns in einem schmalen Zimmerchen wieder gleichsam einer Schatzschatulle, denn Wände und Decke waren mit blauem, gestepptem Atlas ausgeschlagen. Der Türöffner trug dickbesohlte Schuhe und eine gelbe Robe; sein kurzes, weißes Haar war aus seiner breiten, aber runden Stirn über dem bartlosen, glatten Gesicht zurückgekämmt. Als ich auf der Schwelle an ihm vorüberging, blickte ich in seine Augen, und mir war, als blickte ich in ein Fenster. Diese Augen hätten wirklich aus Glas sein können, so glänzten sie ohne jede Marmorierung – wie ein ungetrübter Sommerhimmel.
»Ihr habt Glück«, sagte er und reichte einem jeden einen Trinkkelch.
»Es ist niemand hier außer Euch.«
Roche entgegnete: »Gewiß sind die Mädchen einsam.«
»Das sind sie. Ihr lächelt – ich sehe, Ihr glaubt mir nicht, aber so ist es. Sie beklagen sich, wenn zu viele ihnen ihre Aufwartung machen, doch sind sie betrübt, wenn keiner kommt. Eine jede Dame wird versuchen, Euch heut' nacht zu bezaubern. Ihr werdet es erleben. Sie prahlen gern, daß man sie gewählt hat, seid Ihr wieder gegangen. Überdies seid Ihr beide hübsche Jünglinge.« Er verstummte, während er Roche, zwar nicht starrend, offenbar näher musterte. »Ihr seid schon einmal hier gewesen, nicht wahr? Ich erinnere mich an Eure roten Haare und Eure rosigen Wangen. Tief im Süden malen die Wilden ihren Feuergeist fast genauso. Euer Freund nun hat das Antlitz eines Beglückten ... das mögen meine Damen am allerliebsten. Ich verstehe, wozu Ihr ihn mitgebracht habt.« Seine Stimme klang bald wie ein männlicher Tenor, bald wie ein weiblicher Alt.
Eine zweite Tür tat sich auf. Sie hatte einen bemalten Glaseinsatz, der die Versuchung darstellte. Wir schritten in ein Gemach, das (teilweise sicherlich wegen der Beengtheit des gerade verlassenen) geräumiger schien, als das Gebäude überhaupt in sich aufnehmen konnte. Die hohe Decke zierten offenbar aus weißer Seide gebundene Girlanden, die dem Saal etwas Pavillonhaftes verliehen. Zwei Wände waren mit Kolonnaden eingefaßt – diese waren falsch; die angeblichen Säulen bestanden nur aus halbrunden, aufgesetzten Wandpfeilern vor blaugetünchtem Hintergrund; der Architrav war nicht mehr als ein Gesims; aber solange wir uns in der Mitte befanden, war der Eindruck imposant und nahezu vollkommen.
Im hinteren Ende dieser Kammer stand gegenüber den Fenstern ein hochlehniger Stuhl, der an einen Thron erinnerte. Unser Gastgeber ließ sich darauf nieder, und fast gleichzeitig ertönte irgendwo im Hausinnern eine Glocke. Auf zwei kleineren Stühlen warteten Roche und ich schweigend, während das klare Echo verhallte. Von draußen drang kein Laut herein, dennoch spürte ich das Schneegestöber. Der Wein versprach, die Kälte in Schach zu halten, und nach ein paar Schlucken konnte ich den Boden des Bechers sehen. Mir war, als harrte ich auf den Beginn einer Feier in der verfallenen Kapelle, obschon es sofort einen unwirklicheren und ernsteren Anschein bekam.
»Die Chatelaine Barbea«, verkündete unser Wirt.
Eine hochgewachsene Dame trat ein. Sie war so anmutig in ihrer Haltung, so schön und so gewagt bekleidet, daß es Sekunden dauerte, ehe ich erkannte, daß sie nicht älter als siebzehn sein konnte. Ihr
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