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Der Schatten des Folterers

Der Schatten des Folterers

Titel: Der Schatten des Folterers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gene Wolfe
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Schlaf. Bist du nicht taub von seinem Geschnarche?«
    »Habe auch gut geschlafen«, entgegnete ich. »Wenn er geschnarcht hat, hab' ich's nicht gehört.«
    Das schien dem kleinen Mann, der beim Lächeln eine ganze Reihe von Goldzähnen zeigte, zu gefallen. »Und ob er schnarcht. Sein Schnarchen erschüttert die ganze Urth, kann ich dir sagen. Sei froh, daß du trotzdem Ruhe gefunden hast.« Er streckte seine zarte, gepflegte Hand vor. »Ich bin Dr. Talos.«
    »Der Geselle Severian.« Ich warf die dünne Bettdecke zurück, stand auf und begrüßte ihn.
    »Du trägst Dunkel, sehe ich. Was für eine Zunft ist das?«
    »Es ist das Schwarz der Folterer.«
    »Aha!« Wie eine Drossel legte er den Kopf schief und hopste umher, um mich aus verschiedenen Blickwinkeln zu beäugen. »Du Schande – ganz schön groß bist du, aber dieses rußige Zeug ist nicht sehr kleidsam.«
    »Für uns ist's praktisch«, antwortete ich. »In der Oubliette ist es schmutzig, und auf dem Schwarz sieht man keine Blutflecken.«
    »Du hast Humor! Großartig! Ich sage dir, es gibt wenige Vorzüge, die einem mehr nützen als Humor. Humor zieht Menschenmassen an. Humor besänftigt den Pöbel und beruhigt einen Kindergarten. Humor bringt dich weiter und bringt dich raus und zieht wie ein Magnet Asimis an.«
    Ich hatte nur einen blassen Schimmer, was er da redete, aber weil er sehr umgänglich wirkte, sagte ich: »Ich hoffe, ich habe dir keine Umstände bereitet. Der Wirt hat gemeint, ich könne hier schlafen und es sei noch genügend Platz im Bett.«
    »Nein, nein, ganz und gar nicht! Ich kam nicht zurück – fand eine bessere Übernachtungsmöglichkeit. Offengestanden schlafe ich sehr wenig und auch nicht fest. Aber ich hatte eine gute Nacht, eine ausgezeichnete Nacht. Wohin gehst du heute morgen, Optimat?«
    Ich tastete unter dem Bett nach meinen Schuhen. »Zunächst suche ich mir ein Frühstück, glaube ich. Dann geht's aus der Stadt nach Norden.«
    »Ausgezeichnet! Bestimmt würde mein Partner auch ein Frühstück schätzen – täte ihm höllisch gut. Und wir reisen nordwärts. Nach einer höchst erfolgreichen Tournee, weißt du. Kehren nun wieder heim. Spielten das ganze Ostufer runter und das Westufer rauf. Vielleicht legen wir im Haus Absolut unterwegs einen Zwischenaufenthalt ein. Davon träumt jeder in diesem Geschäft, weißt du. Im Palast des Autarchen zu spielen. Oder zurückkehren, nachdem man dort gespielt hat. Chrysos hutweise.«
    »Ich kenne wenigstens eine Person, die davon geträumt hat zurückzukehren.«
    »Mach nicht so ein langes Gesicht – du mußt mir mal davon erzählen. Aber jetzt, wenn wir frühstücken gehen wollen – Baldanders! Wach auf! Komm, Baldanders, komm! Wach auf!« Er tänzelte an das Fußende des Bettes und packte den Riesen am Knöchel. »Baldanders! Nicht an seine Schulter fassen, Optimat!« (Ich hatte keinerlei Anstalten dazu gemacht.) »Er schlägt manchmal um sich. BALDANDERS!«
    Der Riese rührte sich brummend.
    »Ein neuer Tag, Baldanders! Lebst noch! Zeit zum Essen, Scheißen und Lieben – ja! Aufgestanden, oder wir kommen nie heim!«
    Es war nicht ersichtlich, daß der Riese ihn gehört hatte. Das Gemurmel von vorhin war wohl nur ein im Traum ausgesprochener Einwand oder sein Todesröcheln gewesen. Dr. Talos ergriff mit beiden Händen das schmutzige Bettzeug und zog es zurück.
    Der hünenhafte Gefährte lag unbedeckt da. Er war noch größer, als ich vermutet hatte, fast zu groß für das Bett, obwohl er die Knie fast bis ans Kinn hochgezogen hatte. Seine Schultern waren eine Elle breit, hoch und gekrümmt. Sein Gesicht konnte ich nicht sehen; es lag im Kissen begraben. Am Nacken und an den Ohren hatte er merkwürdige Narben.
    »Baldanders!«
    Sein Haar war grau und sehr dicht.
    »Baldanders! Verzeih, Optimat, aber darf ich dein Schwert benutzen?«
    »Nein«, sagte ich. »Darfst du nicht.«
    »Oh, ich will ihn nicht umbringen oder dergleichen. Ich will nur die flache Klinge einsetzen.«
    Ich schüttelte den Kopf, und als Dr. Talos sah, daß ich hartnäckig blieb, begann er das Zimmer zu durchstöbern. »Hab' meinen Stock unten gelassen. Schlechte Gewohnheit, man wird ihn klauen. Ich sollte das Humpeln lernen, echt. Hier ist überhaupt nichts.«
    Er stürzte zur Tür hinaus und war einen Augenblick später wieder zurück, einen Gehstock aus Eisenholz mit einem Messingknauf schwingend. »Nun denn! Baldanders!« Die Schläge trommelten auf den breiten Rücken des Riesen wie die dicken Regentropfen vor

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