Der Schatten des Folterers
vor lauter Reden nicht dazu, ein so trockenes Gebäck zu essen. Und ein Schlückchen Mokka, wenn's dir nichts ausmacht, nach mir zu trinken.«
Sie erwiderte: »Du meinst, er ließe uns umsonst essen, was? Tut er aber nicht. Verlangt von allem den vollen Preis.«
»Aha, du bist also nicht die Tochter des Besitzers. Befürchtete schon, du wärst's. Oder seine Frau. Wie kann er nur mit ansehen, wie eine solche Blume ungepflückt blüht?«
»Ich arbeite erst seit etwa einem Monat hier. Das Geld, das auf dem Tisch gelassen wird, ist alles, was ich bekomme. Ihr drei, zum Beispiel – wenn ihr mir nichts gebt, habe ich euch umsonst bedient.«
»Soso, soso! Aber hör mal! Was ist, wenn wir dir ein wertvolles Geschenk machen wollten, und du lehnst ab?« Dr. Talos neigte sich bei diesen Worten zu ihr, und mir fiel auf, daß sein Gesicht nicht nur einen füchsischen Eindruck machte (ein wohl zu einfacher Vergleich, den die buschigen rötlichen Brauen und die spitze Nase sogleich nahelegten), sondern an einen ausgestopften Fuchs erinnerte. Jene, die sich mit Graben ihr Brot verdienen, hört man sagen, daß es nirgendwo einen Boden gebe, den sie umpflügen könnten, ohne die Scherben der Vergangenheit aufzuwühlen. Ganz gleich, wo der Spaten die Erde wendet, er fördert Pflasterstücke und rostendes Metall zutage. Die Gelehrten schreiben, daß der Sand, den Künstler Polychrom nennen (weil seinem Weiß Pigmente aller anderen Farben beigemengt sind), gar kein Sand, sondern das Glas der Vergangenheit sei, das die tosende See in Äonen zermahlen habe. Wenn es Realitätsebenen unter der Realität, die wir sehen, genauso gibt wie die historischen Schichten unterhalb des Bodens, auf dem wir gehen, dann war in einer tieferliegenden Realität Dr. Talos' Gesicht ein Fuchskopf an einer Wand, und mit Verwunderung sah ich es nun sich drehen und der Frau zuneigen, wobei es mit dieser Regung, indem Ausdruck und Gedanken es wie die Schatten von Nase und Brauen umspielten, einen erstaunlichen und realistisch lebhaften Anschein erhielt. »Würdest du es ablehnen?« fragte er abermals, und ich schüttelte mich, als erwachte ich soeben.
»Was meinst du?« wollte die Frau wissen. »Einer von euch ist ein Scharfrichter. Meinst du die Gabe des Todes? Der Autarch, dessen Poren selbst die Sterne an Helligkeit übertreffen, schützt das Leben seiner Untertanen.«
»Die Gabe des Todes? O nein!« Dr. Talos lachte. »Nein, meine Liebe, diese besitzt du schon dein ganzes Leben lang. Und er auch. Wir wollen nicht vorgeben, dir etwas zu schenken, das dir bereits gehört. Die Gabe, die wir dir anbieten, ist Schönheit, mit dem Ruhm und dem Wohlstand, die davon herrühren.«
»Wenn ihr etwas verkaufen wollt, ich habe kein Geld.«
»Verkaufen? Ganz und gar nicht! Im Gegenteil, wir bieten dir eine neue Stelle. Ich bin ein Thaumaturg, und diese Optimaten sind Schauspieler. Hast du nie den Wunsch gehabt, auf der Bühne zu stehen?«
»Ich habe mich schon gewundert über das komische Aussehen von euch dreien.«
»Wir brauchen eine Naive. Du kannst die Rolle der Unschuld haben, wenn du willst. Aber du mußt jetzt sofort mitkommen – wir haben keine Zeit zu verlieren, und unser Weg führt uns nicht mehr hierher zurück.«
»Schauspielerin zu werden, das wird mich nicht schön machen.«
»Ich werde dich schön machen, weil wir dich als Schauspielerin brauchen. Ist eine meiner Spezialitäten.« Er stand auf. »Jetzt oder nie! Kommst du mit?«
Die Kellnerin erhob sich ebenfalls, ohne den Blick von seinem Gesicht zu nehmen. »Ich muß noch in mein Zimmer ...«
»Was besitzt du schon anderes als wertloses Zeug? Ich muß aus dir ein bezauberndes Wesen machen und dir deinen Text beibringen – das alles an einem Tag. Ich kann nicht warten.«
»Bezahlt mir das Frühstück, und ich sage ihm, daß ich gehe.«
»Unsinn! Als Mitglied unserer Truppe mußt du helfen, das Geld, das wir für deine Kostüme brauchen werden, zu sparen. Ganz zu schweigen davon, daß du meinen Kuchen gegessen hast. Bezahl ihn selbst!«
Sie zögerte einen Augenblick lang. Baldanders sagte: »Du kannst ihm vertrauen. Der Doktor hat eine eigene Art, die Dinge zu sehen, aber er lügt weniger, als man glauben möcht'.«
Die tiefe, bedächtige Stimme wirkte wohl beruhigend auf sie. »In Ordnung«, sagte sie. »Ich komme mit.«
Ein paar Sekunden später schritten wir einige Straßen weiter an Läden vorüber, die größtenteils noch geschlossen waren. Als wir ein Stück weit gegangen waren,
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