Der Schatten des Highlanders
zerschnitt sie ihren Rock und zog mehrere lange Fäden aus dem Stoff. Sie waren stärker als das Garn, das ihr Cameron gebracht hatte, und ein klein wenig sauberer. Dann flocht sie ihr Haar zu einem Zopf und band das Ende mit einem Stoffstreifen zusammen, den sie ebenfalls aus ihrem Rocksaum geschnitten hatte. Sie wartete, bis das Wasser kochend heiß war, bevor sie einen Becher hineintauchte. Dabei verbrannte sie sich die Finger an den Flammen, die rund um den Kessel emporzüngelten, aber sie klagte nicht. Sie ließ die Kräuter in den Becher fallen, und zuletzt wusch sie ihre Hände in dem restlichen heißen Wasser. Das war alles andere als steril, aber besser ging es eben nicht. Sie nahm die Nadel und fädelte sie ein.
»Waschen Sie sich die Hände«, sagte sie zu Cameron, »und dann reißen Sie saubere Tücher in Streifen und tauchen sie ins kochende Wasser.«
Er wusch sich die Hände im heißen Wasser wie sie, fluchte aber, als er sich die Finger verbrannte. Dann zog er den Saum von seinem langen safrangelben Hemd heraus und begann den Stoff in Streifen zu reißen.
»Ich habe gesagt, saubere Tücher«, bemerkte sie streng.
»Etwas anderes habe ich nicht.«
Sie schloss kurz die Augen. Klar. »Tut mir leid. Nehmen Sie einfach den saubersten Teil davon.« Sie hielt inne. »Wie heißt Ihr Bruder?«
»Breac.«
Sie sah ihn mit fragendem Lächeln an. »Er hat nur einen Namen?«
»Beim zweiten Kind konnte mein Vater meiner Mutter Einhalt gebieten.«
Sie lächelte, dann blickte sie auf Breac hinunter, und ihr Lächeln verschwand. Sie fühlte mit den Fingern an seinem Hals und konnte es kaum glauben, dass sie noch einen Puls spürte. Das verdankte er entweder seiner kräftigen Konstitution oder seinem unbezähmbaren Lebenswillen.
Cameron reichte ihr die eingeweichten Tücher, um die sie gebeten hatte. Sie nahm eines, tupfte das Blut von Breacs Bauch und machte sich ans Werk. Zuerst nähte sie seinen Darm wieder zusammen, dann die Bauchmuskeln. Irgendwann hielt sie inne und strich sich mit dem Ärmel über die Stirn. Dann wählte sie ein Säckchen getrockneten Wegerich aus.
»Machen Sie daraus einen Tee«, sagte sie müde.
Cameron kam ihrer Aufforderung wortlos nach.
Als sie die Muskeln zusammengenäht und die Bauchdecke geschlossen hatte, war Breacs Puls nur noch ganz schwach. Sie legte ihre blutige Hand auf seine Stirn und senkte den Kopf. Tränen rannen ihr über die Wangen.
Natürlich war es ein hoffnungsloses Unterfangen gewesen. Vielleicht hätte er in einer modernen Notaufnahme eine Chance gehabt, wo ihm die Ärzte eine Bluttransfusion nach der anderen verabreicht und lebenserhaltende Maßnahmen ergriffen hätten, bis seine Lebenskraft zurückgekehrt wäre. Anschließend hätten sie ihn dann mit Antibiotika vollgepumpt, um die schweren Infektionen einzudämmen, die er bekommen würde, wenn er die Verletzung überlebte. Aber er befand sich im Schottland des 14. Jahrhunderts, und sein Leben verrann.
»Sunshine? Der Tee ist fertig.«
Sie legte ihre Finger an Breacs Hals und sah Cameron in die Augen.
»Wir brauchen ihn nicht mehr«, sagte sie ganz leise.
Er presste die Lippen zusammen, holte tief Luft und atmete dann geräuschvoll aus. Er stellte den Becher ab und nahm die andere Hand seines Bruders in seine. Tränen liefen ihm die Wangen herunter, aber er schien es gar nicht zu bemerken. Er legte seine andere Hand über Sunnys, die seitlich an Breacs Hals ruhte.
Breacs Puls verlangsamte sich.
Und schließlich hörte er ganz auf.
Stille senkte sich auf sie herab. Das Gefühl, das sie empfand, war ganz ähnlich wie bei der Geburt eines Kindes. Die Welten des Sichtbaren und des Unsichtbaren schienen sich einen Augenblick lang zu vermischen und eins zu werden.
Manchmal ergab das ein friedliches Zusammentreffen, ein andermal eine laute, lärmende Kollision. Bei Breac jedoch geschah es sehr leise und sehr traurig, als täte es dem Himmel leid, dass es so sein musste. Sunny blickte auf den bildschönen jungen Mann hinunter und fragte sich, warum gerade er sterben musste, während andere am Leben blieben.
»Ist er tot?«
Sunny beugte sich über Breac und legte ihr Ohr auf seine Brust. Sie vernahm keinen Herzschlag mehr, aber das hatte sie auch nicht erwartet. Sie blieb noch ein, zwei Minuten in dieser Stellung, dann setzte sie sich wieder auf ihre Fersen und richtete ihren Blick auf Cameron.
»Es tut mir so leid«, sagte sie ruhig.
Er schüttelte den Kopf. »Ich habe nicht erwartet, dass er am Leben
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