Der Schatten des Highlanders
konnte sich in den Wäldern verstecken und bei Sonnenaufgang Richtung Süden gehen. Schließlich würde die Morgendämmerung nicht mehr allzu lange auf sich warten lassen.
Sie überlegte, ob sie durch den Großen Saal hinausgehen sollte, entschied sich dann aber dagegen. Wenn sich die Männer schon bekreuzigten, sobald sie die Fremde sahen, dann war es nicht vernünftig, ihnen noch einmal unter die Augen zu treten. Sie würde einfach auf die Morgendämmerung warten und dann aufbrechen. Es könnte ja alles noch schlimmer sein: Sie hätte auch im Burgverlies landen können.
Sie schlang die Arme um den Körper, fröstelte aber trotzdem. Man konnte sich kaum vorstellen, wie kalt es in einer mittelalterlichen Burg werden konnte, wenn das Feuer niedergebrannt war. Sie blickte in die Dunkelheit der Küche und versuchte sich durch positive Gedanken innerlich aufzuwärmen. Nicht mehr lange, und sie würde wieder vor Moraigs Kamin sitzen, nachdem sie mit einer ausgiebigen Dusche den Warm Wassertank geleert hätte, den Jamie und Patrick ihr letzten Herbst hatten einbauen lassen. Und sie würde sich vielleicht sogar eine kleine Tasse heiße Schokolade gönnen. Solche Sachen hatte sie normalerweise nicht im Haus, aber sie fand nichts dabei, wenn Madelyn sie für sie bevorratete. Wenn sie nach Hause käme, müsste sie wahrscheinlich dieses Notfall-Lager plündern.
Sie holte tief Luft und schloss die Augen. Sie hörte, wie das Stimmengewirr aus dem Großen Saal allmählich leiser wurde, und auch Gilly im oberen Stockwerk hatte aufgehört zu schreien, obwohl Sunny meinte, weiter entfernt noch eine andere Frau weinen zu hören.
Was für ein hartes Leben.
Sie war sehr froh, wenn sie ihm bald wieder den Rücken kehren konnte.
4
Cameron saß neben seinem Bruder, der vor dem Kamin tot auf dem Boden lag, und lauschte in die völlige Stille hinein. Gilly war endlich neben Breac eingeschlafen, ihre blutige Hand ruhte auf seiner Brust. Die ganze Nacht lang hatte sie mit gellender Stimme wüste Beschimpfungen ausgestoßen. Cameron hatte ihr nichts erwidert, aus Respekt vor seinem Bruder, und weil er wusste, was für ein Verhalten dieser von ihm seiner Frau gegenüber erwartet hätte. Jetzt aber, wo sie schlief, musste er zugeben, dass er unendlich erleichtert war, ihr nicht länger zuhören zu müssen. Nur zu bald würde sie wieder aufwachen und von Neuem zu schreien beginnen. Doch im Grunde konnte er ihr deswegen nicht einmal einen Vorwurf machen.
Auch er selbst hätte am liebsten seinen Schmerz herausgeschrieen.
Sein erster Gedanke war gewesen, sich sein Plaid umzulegen, ein paar Langdolche in den Stiefelschaft zu stecken und sich in Simon Fergussons Stammsitz zu schleichen, um ihn im Schlaf zu erledigen. Er hätte es sicher geschafft, auch noch ein paar weitere Männer vom Fergusson-Clan ihrem Laird in die Hölle folgen zu lassen. Die ganze Sippe im Alleingang umzubringen, wäre jedoch ohnehin unmöglich gewesen — obwohl er genau dies das nächste Mal versuchen würde, wenn sie es noch einmal wagen sollten, das Schwert gegen einen Cameron zu erheben.
Doch dann wandte er seine Gedanken von solchen Racheplänen ab und blickte auf seinen Bruder hinunter. Er sah Gilly an, die neben ihm schlief, und fragte sich, wie Breac es ausgehalten hatte, mit ihr verheiratet zu sein. Sie war eine
unfreundliche, streitsüchtige und nur leidlich attraktive Frau. Normalerweise beurteilte Cameron Frauen nicht nach ihrem Aussehen, aber er dachte sich immer wieder, dass Gilly angesichts all ihrer anderen Makel wenigstens ein gefälliges Äußeres hätte haben können. Cameron wusste, dass Breac gehofft hatte, durch seine Heirat mit Gilly Fergusson würde sich das Verhältnis zwischen den beiden Clans etwas entspannen.
Ein tödlicher Irrtum, daran gab es keinen Zweifel mehr.
Cameron fuhr sich mit den Händen übers Gesicht und zwang sich, darüber nachzudenken, was als Nächstes zu tun war. Er würde sich so bald wie möglich um die Bestattung kümmern müssen. Er würde Fergusson eine Nachricht zukommen lassen müssen und ihm mitteilen, wie viele Männer dieser verloren hatte, damit ihm klar würde, wie teuer ihn seine Überheblichkeit zu stehen kam. Sonst war dies für Cameron stets der befriedigendste Moment nach einer Schlacht, doch heute stand ihm nicht der Sinn nach solchen grausigen Details. Es spielte überhaupt keine Rolle, wie viele Männer diese verdammten törichten Fergussons verloren hatten. Sie würden ihn immer wieder aufs Neue
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