Der Schatten des Highlanders
Vielleicht kam es ja auch einfach daher, dass er sich selbst ganz und gar nicht wohl fühlte in der Verkleidung, die Emily für ihn im Hotel abgegeben hatte. Ihr freie Hand bei der Auswahl seiner Tarnung zu lassen, hatte sich als schwerer taktischer Fehler erwiesen: Er war von Kopf bis Fuß schwarz gekleidet, alle Haare, die lang genug waren, hatte er zu einem Pferdeschwanz zusammengefasst, und hätte er sich nicht hinter einer Sonnen-
brille verstecken können, dann hätte er mit den wilden Verwünschungen, die er vor sich hinmurmelte, sicher einige Aufmerksamkeit erregt. Aber wenigstens steckte in seinem Rucksack eine zweite Garnitur normaler Kleidung.
»Sexy«, schnurrte ein blonder, wie ein Künstler aussehender junger Mann, der augenzwinkernd an ihm vorbeiging.
Cameron musste zwei Mal hinsehen, dann fluchte er. Derricks chamäleonhaftes Auftreten war bisweilen wirklich beunruhigend. »Wo ist Sunny?«, wollte er wissen.
Derrick schmunzelte nur und raunte: »Hinter mir.«
Cameron sah sich den langen Strom von Menschen, die in ihre Richtung gingen, genauer an, konnte Sunny darin aber nicht ausmachen. Er beobachtete ein paar ältere Paare, Familien, eine sehr hübsche Rothaarige und eine umwerfend schöne Brünette mit unendlich langen Beinen. Normalerweise hatte er seine Blicke durchaus unter Kontrolle, aber diese junge Frau war nun wirklich einen bewundernden Blick wert.
Im nächsten Augenblick blieb ihm vor Staunen die Luft weg.
Es war Sunny.
Sie erspähte ihn und stolperte. Cameron wäre zu ihr gesprungen, um sie aufzufangen, aber er konnte sich nicht rühren. Er stand nur mit offenem Mund da, bis sie einen Schritt vor ihm stehen blieb.
»Wenn du nicht aufpasst, fliegen dir noch die Mücken in den Mund«, sagte sie ernsthaft.
»Donnerwetter«, brachte er entgeistert hervor.
Sie lächelte. »Bin ich spät dran?«
»Ich weiß nicht«, stammelte er. Er hatte sie noch nie mit glattem Haar gesehen, streckte die Hand aus und strich ihr staunend darüber. »Wie hast du denn das hingekriegt?«
»Ich habe sie gebügelt.« Sie beugte sich zu ihm vor. »Schließlich sollte ich mich verkleiden.« Sie versuchte, ihren schwarzen Minirock weiter herunterzuziehen, aber es nützte nichts. »Zu viel des Guten?«
»Zu wenig - von dem Rock, wollte ich sagen.« Er holte tief Luft. »Ich glaube, ich muss mich irgendwo hinsetzen.«
»Derrick meinte, ich sehe scharf aus. Was meinst du?«
Er sah sie drohend an. »Ich glaube, wenn er seine Blicke nicht zügelt, werde ich ihm bei erstbester Gelegenheit ein Veilchen verpassen.« Er betrachtete zweifelnd ihren Mund. »Mache ich jetzt deine feuerroten Lippenbemalung zunichte, wenn ich dich hier auf der Stelle leidenschaftlich küsse?«
Sie lächelte ihn an. »Das wagst du nicht.«
»Oh doch, das werde ich tun. Sobald du auf die Toilette gehst, suche in deiner Handtasche nach dieser Geschmacklosigkeit und werfe sie aus dem Fenster.«
»Du klingst heute ganz wie du selbst«, sagte sie und lächelte wieder.
Er nahm ihr den Rucksack ab, legte ihr die Hände auf die Schultern und drehte sie zur Zugtür hin. »Klinge ich denn normalerweise nicht wie ich selbst?«
»Ab und zu schon.«
Er legte ihr den Arm um die Taille und zog sie an sich. »Sunny, Liebes«, flüsterte er ihr ins Ohr, »wenn ich dich als mittelalterlicher Laird in einem so kurzen Rock gesehen hätte, dann hätte ich dich für einen Dämon gehalten und sofort in mein Verlies geworfen.«
Sie legte ihre Hand über seine. »Und dann?«
»Dann hätte ich mich dort mit dir eingesperrt. Alles Übrige überlasse ich deiner Fantasie. Und jetzt beweg dich, Sunny, bevor ich mir die Zugfahrt über den Kopf zerbreche, wo ich in Paris einen Ort finde, der denselben Zwecken dient.«
Sie lächelte ihm über die Schulter hinweg zu und ging voraus. Er legte ihr die Hand aufs Kreuz, als sie einstiegen, und bedachte jeden Mann, der sie bewundernd ansah, mit einem drohenden Blick - denn das war es, was alle männlichen Mitreisenden taten -, aber schließlich schaffte er es, sie auf ihren Platz zu bugsieren, ohne jemandem ein Haar zu krümmen.
Es überraschte ihn nicht weiter, dass das ältere britische
Ehepaar, dem sie gegenübersaßen, mit Entsetzen Sunnys Rock — oder eher die Abwesenheit eines solchen - anstarrte. Er verstaute Sunnys und sein Gepäck über den Sitzen und machte es sich neben Sunny bequem. Nun waren sie den missbilligenden Blicken erst recht ausgesetzt.
Offenbar musste seine Pferdeschwanzfrisur dran
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