Der Schatten des Highlanders
Es ist eine Schwelle zwischen den Zeiten.«
Cameron blinzelte. Er hatte Sunnys Worte gehört, und jetzt wartete er darauf, dass sie sich in seinem armen Hirn zu einem zusammenhängenden Gedanken verdichteten. Doch das geschah nicht. Er runzelte die Stirn. Vielleicht hatte er irgendetwas überhört. »Ich bin mir nicht sicher, ob ich Euch richtig verstanden habe«, sagte er.
Sunny deutete zur Türschwelle hinüber. »Auf dieser Seite der Tür ist das Jahr 1375. Und auf der anderen Seite, hinter einem unsichtbaren Tor, ist die Zukunft - das Jahr 2005, um genau zu sein.«
Dann schwieg sie. Wahrscheinlich wollte sie sehen, wie er das aufnehmen würde. Er musste zugeben, dass er viel zu verblüfft war, um überhaupt irgendeine Reaktion zu zeigen.
»In jener Nacht, als Sie kamen, um mich zu holen, stand ich auf der anderen Seite der Tür und damit in einer Zeit sechshundert Jahre nach der jetzigen«, fuhr sie fort. »Eigentlich sollte ich ganz einfach über diese Schwelle schreiten können, um wieder in meine Zeit gelangen.« Sie schwieg lange. »Aber offensichtlich funktioniert das Zeittor nicht.«
Cameron merkte, dass ihm der Mund offen stand, und er schloss ihn.
Verdammt noch mal! Wie konnte eine Frau, die so schön war, so gut roch und so makellose Zähne und strahlende Augen hatte, zugleich so heillos verrückt sein?
Offenbar standen ihm diese Gedanken ins Gesicht geschrieben, denn mit einem Mal wich sie vor ihm zurück und stürzte davon.
Er hatte sie eingeholt, noch bevor sie fünf Schritte weit gekommen war. Mit einem Arm packte er sie um die Taille, mit dem anderen um die Schultern und zog sie eng an sich.
»Hört auf«, flüsterte er ihr ins Ohr. »Hört auf, Euch zu wehren. Atmet ein, Sunshine, und schreit nicht, wenn Ihr ausatmet. Ich habe nicht vor, Euch wehzutun.«
»Sie hatten Ihre Hand am Schwert.«
»Das ist nicht wahr.«
»Doch.«
»Ja, gut, ich habe gewiss ein paar schlechte Angewohnheiten«, gab er ohne Zögern zu, als er merkte, dass sie recht hatte. »Aber dieses wirre Zeug, das Ihr von Euch gegeben habt, hat mich einfach erschreckt. Ich werde Euch nichts zuleide tun.«
Sie entspannte sich nicht, aber das konnte er verstehen. Schließlich ging es ihm genauso, wenn er wusste, dass jemand hinter ihm stand, der ihn im nächsten Moment erstechen könnte. Cameron legte sein Kinn auf ihre Schulter, summte das heiterste Liebeslied, das ihm einfiel, und hielt sie dabei fest umschlungen.
»Atmet tief ein und aus«, flüsterte er.
Sie tat, wie er ihr geheißen hatte, doch ihr Atem ging stoßweise. Irgendwann jedoch spürte er, wie sie ihre Hände hob und auf seinen Arm legte. Ein Schluchzer entfuhr ihr, aber sie hatte sich sofort wieder im Griff. Cameron war beeindruckt. Er kannte sonst keine Frau, die noch etwas anderes konnte, als zu kreischen, wenn sie das Gefühl hatte, dass gerade ein hysterischer Heulanfall angebracht war.
»Ein Zeittor«, sagte er schließlich, wobei er die Worte in seinem Mund hin und her wendete. »Zwischen zwei verschiedenen Jahrhunderten ...«
»Genau.«
Nur mit großer Mühe gelang es ihm, ein ungläubiges Schnauben zurückhalten. Das war einfach das Lächerlichste, was er je gehört hatte. Gewiss gab es Gerüchte über allerhand unerklärliche Dinge, die sich angeblich auf dem Territorium der MacLeods abspielten, aber das hier war um einiges verworrener als alles, was ein närrischer MacLeod je zusammen-spinnen konnte. Ein Mensch war nun mal ein Mensch, der in der Zeit lebte und starb, die das Schicksal ihm zugedacht hatte.
Es sei denn, ein MacLeod erzählte die Geschichte. Dann war natürlich alles möglich. Die MacLeods verbrachten die langen Winterabende meist damit, Mutmaßungen über das Schicksal von Laird James anzustellen, der angeblich dem Tode entronnen und mit seiner Frau Elizabeth in ein prächtiges Paradies eingegangen war. Cameron dagegen glaubte, dass die beiden nur leichtsinnigerweise ihre Burg verlassen hatten, um die Zweisamkeit zu suchen, und dann von einem forschen Fergusson aufgegriffen und ins Loch gestoßen worden waren, auf dessen Grund sie seit nunmehr vierundsechzig Jahren ruhten.
Es hätte ihn also nicht weiter überraschen sollen, dass Sunshine, selbst wenn sie eine MacKenzie war, an etwas glaubte, das so gut zu diesen Geschichten passte. Offenbar übten die MacLeods auf sensible Gemüter stets eine schädliche Wirkung aus.
Cameron schloss die Augen und gestattete sich, den blumigen Duft der Frau in seinen Armen einzuatmen. Sein
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