Der Schatten des Horus
Überlegung griff er in sein Cape und zauberte aus seinen Tiefen ein Buch hervor. »Dieses Werk hat die Isolationisten verstummen lassen. Durch praktische Archäologie widerlegte der Norweger Thor Heyerdahl die These, kein Ägypter habe Lateinamerika besuchen können.« Faux drückte Sid das Buch in die Hand. Expedition Ra , las Sid auf dem Titel, darunter war das Foto eines Papyrusboots mit geblähtem Segel.
Er gab immer noch nicht auf. »Gut, aber das heißt doch noch lange nicht, dass der fremde Reisende das Mumienherz dorthin gebracht hat!«
»Du hast Recht!«, entgegnete Rascal. »Nur wegen dieser Scherbe wäre ich sicher auch nicht nach Mexiko geflogen. Aber erinnere dich, was Nagy geschrieben hat: Wo eine Große Pyramide ist, ist auch ein Großer Tempel . Ich habe mich ein bisschen schlaugemacht. In Mexiko City gibt es den Templo Mayor , das heißt Großer Tempel. Und Pyramiden stehen da auch.«
Yusuf nahm ihm endgültig die Luft aus den Segeln. »Zwei zu eins gegen dich, Sid! Außerdem soll man alten Männern und jungen Mädchen niemals widersprechen. Die einen sind zu weise, die anderen zu hübsch!« Er zwinkerte ihm verschwörerisch zu.
Sid merkte, wie sein Widerstand zusammenbrach.
»Es tut mir leid, Monsieur Faux, wenn ich Sie beleidigt haben sollte«, entschuldigte er sich. »Aber manchmal fällt es mir schwer, Freunde und Feinde auseinanderzuhalten.«
Der alte Mann nickte. »Es sei dir verziehen, Sid.« Er stützte sich auf seinen Stock und stand langsam auf.
Sid sprang auf, um ihm zu helfen, aber Faux wehrte ab.
»Fliegen Sie auch nach Mexiko?«, erkundigte sich Sid.
Der alte Mann schüttelte den Kopf. »Diese neumodischen Erfindungen sind nichts für mich. Ich bevorzuge eine Schiffspassage.« Ohne sich noch einmal umzudrehen, verschwand Sinistre Faux in der Menschenmenge. »Wir sehen uns in zwei Wochen«, konnte ihn Sid noch aus großer Entfernung flüstern hören. »In Mexiko!«
Erschrocken sah Sid auf die Anzeigetafel, wo ihr Flug bereits aufblinkte. Nachdem ihnen Yusuf noch ein Abschiedsgeschenk in die Hand gedrückt hatt e – den Lonely Planet Mexik o –, verabschiedeten sie sich hastig. Keuchend kamen sie an ihrem Gate an, nur um festzustellen, dass das Boarding noch gar nicht begonnen hatte.
Ausgepumpt warfen sie sich auf zwei leere Sessel direkt unter einem der Fernsehbildschirme. Zwar waren sie noch immer in einem muslimischen Land, aber der Flughafen galt scheinbar als freie Zone. KLM hatte den Sender ausgesucht. CNN zeigte Ausschnitte aus einem Konzert von Madonna, freizügig gekleidete Tänzerinnen hüpften über die Bühne. Als die Sängerin selbst ins Bild kam, hielt sich Rascal vor Staunen die Hand vor den Mund.
»Das gibt’s doch nicht!«, stammelte sie. Die Popdiva trug exakt das Outfit, das Rascal bei ihrem zufälligen Treffen im Fahrstuhl des San-Remo-Gebäudes angehabt hatte. Und die Tänzer, die sich jetzt um sie drängten, widersprachen jedem Schönheitsideal: grotesk fett, abstehende, schüttere Haare dazu Feinrippunterhosen, Netzhemden und Trenchcoat s – hundertprozentige Kopien von Jurgen dem Kaizer!
Auch Sid schüttelte ungläubig den Kopf. »Aber der Text passt dazu!« Madonna stöhnte die Titelzeile ins Röhrenmikrofon: » Every body is beautiful! «
Plötzlich blendete sich CNN aus dem Programm aus. Von dem schnellen Schnitt scheinbar etwas überrumpelt, rückte die Sprecherin ihre Brille zurecht. »In New York City ist es am Nachmittag zu einem spektakulären Selbstmord gekommen«, schnarrte sie mit betroffenem Gesichtsausdruck in typischem Nachrichtenton herunter. »Ein führender Herzchirurg hat sich auf den Strawberry Fields, mitten im Central Park, mit einer Ladung Dynamit in die Luft gesprengt. Weitere Personen wurden nicht verletzt.«
Der Sender zeigte ein Foto des Selbstmörders mit einem schwarzen Balken über den Augen. Trotzdem erkannte Sid ihn sofort. Erschrocken sprang er auf.
Rascal berührte seine Hand. »Ist da s …?«
Sid riss sich los und eilte zu den Toiletten. Drei Frauen kreischten, als er an ihnen vorbeistürmte. Er hatte jetzt keine Zeit, die Männerklos zu suchen! Mit pumpendem Herzen schloss er sich in einer der Boxen ein und rang nach Luft.
Nach einer Ewigkeit gelang es ihm, sein Handy aus der Tasche zu holen. Er war sich sicher, dass er eine letzte Botschaft von seinem Patenonkel empfangen hatte. Mit fahrigen Bewegungen tippte Sid seine PIN ein, Sekunden später piepste es. Sechsundfünfzig neue SMS-Messages. Er klickte nur
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