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Der Schatten des Horus

Der Schatten des Horus

Titel: Der Schatten des Horus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thilo P. Lassak
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verschwand. Erwachen würde ihr Hoffnungsträger, der Heilsbringer, der Wiederhersteller der alten, gewollten Weltordnung.
    Theodorakis zog die Öffnung in dem Tuch zur Seite, bis sich Sids linke Brusthälfte zeigte. Die Zahlen auf dem Infusomat zählten rückwärts. Noch 12 4 Milliliter befanden sich in der Spritze. In hektischen Zacken jagten sich die Pulsausschläge über den Sphygmograf, der Puls war konstant.
    Um exakt 2 1 Uh r 58 schnallte sich einer der Wesire die fellbespannte Trommel um, der andere entzündete die Kräuter in den fünf Steinschalen. Kümmelgeruch breitete sich in dem Raum aus. Der Rauch kräuselte sich hinauf zur vergilbten Decke. Die modernen Geräte piepten.
    Noch eine Minute. Theodorakis öffnete seinen Lederkoffer und hob das Fell eines Wildhundes heraus. Den Schädel mit den gebleckten Zähnen setzte er auf seinen Kopf.
    Die sechs starrten jetzt gebannt auf die Uhr. Sekunden vergingen, dann rückten alle drei Zeiger einen Strich weiter. 2 2 Uhr. Wie aus einem einzigen Mund atmeten die Anwesenden gleichzeitig aus.
    »Die sechste Morgenstunde in Kairo hat begonnen«, erklärte der Arzt ergriffen. »Seths heilige Stunde. Die Zeremonie kann beginnen.«
    Der große Wesir schlug mit den Handflächen auf seine Trommel ein. Ba-Bomm!
    Sid zuckte unter dem Tuch zusammen und wand sich auf dem OP-Tisch. »Mi r … is…t kalt!«, lallte er und blinzelte.
    Erst als ihn der Rauch einhüllte, entspannte sich sein Körper wieder. Birger Jacobsen setzte ihm die Beatmungsmaske auf, die Registriertafel zeigte das Atemvolumen an. Birger Jacobsen kannte sich aus, in seinem Stockholmer Büro erledigte er die Vorsortierung der Nobelpreisträger im Fach Medizin.
    Theodorakis zog die schattenfreie Operationslampe über den Brustkorb und nahm ein steinernes Messer zur Hand. Als er damit auf die kleine Narbe zielte, begannen die Anwesenden zu singen.
    » Inek sechem. Wen eni sechem. Seth aa. Inek hemef depi, sa’ef.«
    Birger Jacobsen spürte, wie ihn eine große Kraft durchströmte. Das waren die Worte Setepenseths, so wie er sie vor fünfzehntausend Jahren, von Angesicht zu Angesicht mit dem Gott des Chaos und Verderbens, gepredigt hatte. Er fühlte sich ihm so nahe wie nie zuvor. Er schmeckte den Kümmel auf seiner Zunge, der eintönige Rhythmus ließ sein Trommelfell sanft vibrieren. Ba-Bomm! Diese Gefühle, die ihn mit der Wucht einer Abrissbirne übermannten, entschädigten ihn für alles, was er während der letzten fünfzehn Jahre auf sich genommen hatte.
    Mit einem entschlossenen Schnitt öffnete Theodorakis den Körper des Jungen. Ba-Bomm! Birger Jacobsen sah ihm ruhig zu. Alle Abläufe waren ihm bestens vertraut. Theodorakis schnitt dem sa das Herz so aus dem Brustkorb, dass die beiden Vorhöfe samt Aorta und Lungenarterie möglichst vollständig erhalten blieben. Die kleinere der Schwestern hielt ihm leicht zitternd eine Metallschale entgegen. Die blutverschmierten Handschuhe legten den Muskel hinein. Mit verzweifelten Kontraktionen versuchte sich das Herz gegen seine Bestimmung zu wehren. Wild schlug es gegen die Wände der Schale. Ba-Bomm! Ba-Bomm! Birger Jacobsen wandte den Blick ab. Dieser blaue Klumpen war nicht mehr wichtig, wurde nicht mehr gebraucht. Für einen kurzen Moment übernahmen Maschinen seine Aufgaben. Bis Sidney Martins zu einem höheren Wesen erhoben war, vom Auserwählten zum sa , Setepenseths geliebten Sohn. Er atmete tief durch. Ihm fiel die Ehre zu, das Mumienherz aus seinem engen Gefängnis zu befreien.
    Birger Jacobsen war sich der Feierlichkeit des Augenblicks bewusst. Viele Versuche hatte es gegeben, ihren Kultgründer wieder zum Leben zu erwecken. Immer hatte eine Kleinigkeit gefehlt, immer war etwas schiefgegangen. Zuletzt 1888. Diesmal würde es gelingen. Musste es gelingen. Die Zeit war reif!
    Ehrfurchtsvoll stellte er die Kanope aus dem Nationalmuseum von Bagdad auf den Tisch. Das Siegel war längst erbrochen, aber diesmal würde das Mumienherz nicht von einem ausgezehrten Körper zurückkehren. Diesmal sollte es endgültig an dem ihm bestimmten Platz ankommen. Als Zeichen der Unwiderruflichkeit der Zeremonie nahm er den Knauf des Steinmessers und zerschlug die Kanope. Ba-Bomm! Die Scherben regneten links und rechts vom Tisch auf den Boden. Da war es, das Herz! Wie mächtig es wirkte, mit seinen fünf Kammern. Auch ohne Körper schlug es seit fünfzehntausend Jahren. Normalerweise beginnen Herzen nach vier Stunden zu verfallen, wusste Birger Jacobsen. Deshalb war bei

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