Der Schatten des Horus
unterhalten können. Er versteht kein Arabisch.«
»Offenbar trauten sie einer oder mehreren Personen in der Zelle nicht, deshalb die schriftliche Botschaft!«
Das Augenlid zuckte. »Haben Sie ihn in Sicherheit gebracht?«, wollte er wissen. »Wo ist der Junge jetzt?«
Der Gefängnisangestellte verzog gequält das Gesicht. »Wir haben wirklich alles getan, was in unserer Macht stand, um ihn zu schützen. Die guten Beziehungen zu den Vereinigten Staaten von Amerika sind unserem Land sehr wichtig!«
Birger Jacobsen sprang auf und packte den Mann am Uniformkragen. Die Akten flatterten auf den Boden. »Wo ist Sid?«, schnauzte er ihn an.
»E r … er ist nicht mehr hier«, presste der Dicke hervor. »Er ist jetz t … in einem äh, öffentlichen Haus!«
»Wo?«, brüllte Birger Jacobsen. »Ich will mit ihm sprechen!«
Ein gequältes Lächeln zur Antwort. »Sie wollen mich nicht verstehen, M r Wright. Sidney Seraphin Martins ist vergangene Nacht von seinen Mithäftlingen zu Tode geprügelt worden!«
43. Kapitel
Kairo, Al-Salam International Hospital, Sonntag, 28 . Oktober 2007, 1 0 Uh r 17
Der Arzt führte sie durch die Katakomben eines Krankenhauses. Es roch nach Tod und menschlichem Leid. Die Trauer der Angehörigen hatte sich tief in den Putz der Wände eingegraben. Jetzt bröckelte der Mörtel, die Schluchzer und die Klagen hingen in der muffigen Luft wie unsichtbarer Nebel. Die Schritte der drei Personen hallten von der niedrigen Decke wider. Niemand hielt sich länger hier unten auf als unbedingt nötig. Die Gänge waren leer.
Vor einer blank gebürsteten Metalltür stoppte der Arzt plötzlich. Er legte den Hebel um und zog die schwere Tür zur Seite. Eisige Kälte schlug Rascal entgegen. Sie spürte die Hand des Mannes aus der Botschaft auf ihrer Schulter. Sanft drängte er sie, den Raum zu betreten, vor dem sich jeder Mensch fürchtete. Die Pathologie.
Rascal schüttelte die Hand ab. Dann folgte sie dem Arzt. In der Mitte des Raumes standen drei Tische, die Beine fest in den gefliesten Boden einzementiert. Alle waren mit weißen Tüchern zugedeckt, doch an ihren Enden schauten die Füße hervor, als hätten sich die Aufgebahrten freigestrampelt, um einen letzten Luftzug der Welt zu spüren, die sie so plötzlich hatten verlassen müssen.
»Das ist er«, sagte der Arzt in akzentfreiem Englisch. Mit routinierten Bewegungen stülpte er sich Gummihandschuhe über die behaarten Hände. Talkum wirbelte in feinen Wölkchen auf.
»Bitte!«, sagte der Mann aus der Botschaft und schob Rascal vorsichtig zum Kopfende des Tisches. Wieder schüttelte sie seine Hand ab wie ein lästiges Insekt.
Der Arzt zog das Tuch theatralisch zur Seite. Der Vorhang war geöffnet, der Hauptdarsteller schon längst auf der Bühne. Auf dem blanken Metalltisch lag Sid, kahl rasiert, mit kreidebleicher Haut, die Lippen leicht bläulich. Seine Augen waren fest geschlossen, friedlich eingeschlafen, wie man einen plötzlichen Tod oft nannte, wirkte er nicht. Sids nackter Körper war von Blutergüssen übersät.
Der Mann aus der Botschaft räusperte sich verlegen. »Ist das der US-Staatsbürger Sidney Seraphin Martins?«, fragte er knapp. Rascal schwieg.
»Bitte antworten Sie doch, Miss!«, kam ihm der Arzt zu Hilfe.
Rascal nickte.
»Bedeutet das Ja?«, erkundigte sich der Mann aus der Botschaft.
»Ja, das ist Sidney Seraphin Martins, im Stich gelassen vom amerikanischen Staat!«, antwortete sie scharf.
Die beiden Männer verbissen sich einen Kommentar. Rascal drehte sich zu ihnen um. »Ich habe unsere Botschaft mit Anrufen und E-Mails bombardiert, wie ihr den Irak«, ätzte sie. »Immer wurde ich vertröstet. Hier liegt das Ergebnis eurer unerträglichen Ignoranz. Jetzt, wo es zu spät ist, darf ich zu ihm. Und ihr formuliert an euren Konferenztischen sicher schon das Beileidsschreiben an seine Eltern.«
Der Arzt nestelte peinlich berührt an seinen Handschuhen herum, der Mann aus der Botschaft hüstelte gereizt. »Wir verabschieden uns«, sagte er kühl und fasste Rascal am Arm.
Rascal riss sich los. »Bitte!«, flehte sie. Ihr Ton hatte sich von einer Sekunde auf die andere komplett gewandelt. Jede Härte war aus ihrer Stimme gewichen. »Bitte gewähren Sie mir einen letzten Wunsch! Ich möchte noch einmal mit ihm alleine sein.« Sie blinzelte eine Träne weg. »Ich habe ihn geliebt!«
Auf dem Gesicht des Amerikaners breitete sich ein bitteres Grinsen aus. »Von einem Vertreter der ignoranten Botschaft erwartest du doch
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