Der Schatten des Horus
dagegen.
»Hilfe!«, schrie er. Seine Stimme überschlug sich fast. Eine zweite Ohrfeige klatschte schallend. »Macht auf, die schlagen ihn tot!« Sid lauschte, es kam keine Antwort. Aber er hörte jemanden atmen, hinter der geschlossenen Tür. Husnis Befürchtungen waren richtig gewesen, man wollte ihm seine nicht vorhandenen Geheimnisse mit Gewalt entlocken. Sid warf sich herum. Soeben hob Mahmud seine Hand erneut. Die riesige Pranke wickelte sich beinahe um das ganze Gesicht des alten Mannes. Sein Kopf baumelte hin und her wie der einer Marionette. Blut sickerte ihm in einem schmalen Rinnsal aus der Nase.
»Halt!«, schrie Sid hysterisch. Seine Stimme überschlug sich. »Hört auf!« Er rammte Mahmud mit voller Wucht den schmerzenden Ellenbogen in den Unterleib. Schnell drängelte sich Sid an ihm vorbei und baute sich schützend vor dem alten Mann auf. Vor Überraschung ließ die Boxernase ihn los, Sid gelang es, Husni auf seine Pritsche zu legen. Sofort drehte er sich wieder um, er wollte keinem der Männer länger als nötig den Rücken zukehren. Mahmud stand leicht zusammengekrümmt da, sein Gesichtsausdruck zeigte jedoch keine Gefühlsregung.
»Bevor ihr ihn weiter schlagt, müsst ihr zuerst mich umbringen!«, keuchte Sid. Er fühlte sich zu allem entschlossen. Husni Abd-er-Rassoul war der Erste und Einzige, der ihn seit seiner Verhaftung wie einen Menschen behandelt hatte. Jetzt würde er ihn verteidigen, zur Not mit seinem Leben.
Mahmud nickte zweien seiner Kumpane zu. Alle drei bauten sich vor Sid auf. » You dead man! «, schnaubte Mahmud.
Er massierte sich die Fäuste, als könnte er sich nicht entscheiden, ob er Sid lieber mit der rechten das Gesicht zertrümmern oder mit der linken die Gedärme herausprügeln sollte. Kurz bevor er zuschlug, nahm Sid den Geruch wahr, denselben Geruch wie in der Nacht, als Rascals Brief gekommen war. Zwischen den Gitterstäben drückte sich der Falke hindurch, viel schneller jetzt, als wüsste er, dass es auf jeden Sekundenbruchteil ankam. Kreischend stürzte er sich auf Mahmud und kniff ihm mit beiden Klauen in den Arm.
Mahmud wirbelte herum und stieß einen markerschütternden Schrei aus. Fluchend und mit schmerzverzerrtem Gesicht versuchte er, den Greifvogel abzuschütteln, aber der Falke entschied selbst, wann er den Schläger genug bestraft hatte. Mit einem majestätischen Flügelschlag landete er auf dem Fenstersims, trippelte nach draußen und blieb auf dem Brett sitzen, die wachen Augen in die Zelle gerichtet.
Mahmud warf sich auf sein Bett. Mit den Zähnen riss er sich den Ärmel seiner Jacke ab. Der Falke hatte tiefe Wunden in seine Muskeln geschlagen, ohne ihn jedoch wirklich schwer zu verletzen.
Die gleichen Kratzspuren hatte Sid nach seinem Sturz von der Pyramide an seinen Schultern entdeck t …
Plötzlich ballte Mahmud die Faust und warf einem seiner Sklaven fluchend eine Tasse an den Kopf.
Sid hockte sich zu Husni auf die Pritsche, der langsam ins Leben zurückkehrte. »Danke!«, nuschelte er durch seine aufgeplatzte Lippe. »Aber jetzt sind wir beide dran. Unser fetter König hat schon einen Plan. Der Scheißvogel kann nicht ewig da sitzen , hat er gesagt. Sobald er weg ist, knöpfen sie sich uns vor, mein Junge!«
Sid starrte Mahmud giftig an, aber der nahm keine Notiz von ihm, sondern saß konzentriert am Tisch über einen Zettel gebeugt. Immer wieder lutschte er einen Bleistiftstummel an. Ein Brief!, durchzuckte es Sid, er schreibt einen Brief! Was er auf das Papier kritzelte, wollte er sich lieber nicht ausmalen. Es würde nichts Gutes für ihn und Husni bedeuten, so viel war klar.
Ihr Hofausflug wurde von den Schließern abgesagt, wegen Streits in der Zelle. Bei der Essensausgabe vermieden sie es, allzu lange durch die Klappe zu sehen. Was man nicht sieht, dafür kann man nicht zur Rechenschaft gezogen werden. Von Amnesty international nicht, und von Allah auch nicht. Schweigend reichten sie acht Schüsseln herein. Sid wollte seine Portion nicht annehmen, aber Husni bestand darauf. Als ihre Zellengenossen schon grummelnd das fuul in sich hineinschaufelten, ließ sich der alte Mann Sids Teller aushändigen und stellte ihn auf die Matratze.
»Iss!«, mahnte er und zwinkerte Sid zu. »Vertraue auf Gott, aber binde zuerst dein Kamel fest!« Sid fühlte sich zu schwach, seinem einzigen Verbündeten zu widersprechen, also leerte er den Napf bis zur letzten Bohne.
Um zweiundzwanzig Uhr hallte das Signal zur Nachtruhe durch die Gänge. Sid warf
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