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Der Schatten des Schwans

Der Schatten des Schwans

Titel: Der Schatten des Schwans Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrich Ritzel
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ist der Anschluss der Ortsverwaltung. Seiffert ist Ortsvorsteher dort.« Sie gab ihm die Nummer durch. »Und jetzt unterbrechen Sie mich bitte nicht und hören ausnahmsweise einmal mir zu«, sagte sie
rasch, ehe Berndorf auch nur »Danke« sagen konnte. »Erstens weiß ich nicht, wo ich morgen Abend bin. Rufen Sie mich morgen Nachmittag an. Dann kann ich es Ihnen sagen. Zweitens: Sie sind vom Dienst suspendiert. Im Neuen Bau heißt es, Sie hätten die Twienholt-Schülin-Sippe gegen sich aufgebracht. Was haben Sie mit denen eigentlich gemacht?«
    »Ich? Ach nichts«, antwortete Berndorf. »Ich hab den Twienholt-Schwiegersohn nur gefragt, ob er in letzter Zeit in Görlitz gewesen sei. Dass die Sippe deshalb die Landesregierung bemüht, finde ich schon – nun ja, aufschlussreich finde ich es.«
    »Jedenfalls hören Englin und Steinbrunner gar nicht mehr auf, sich vor Entrüstung zu überschlagen«, sagte Tamar unbeeindruckt. Verdammt, dachte sie dann. Ich muss diese Narrengeschichte nicht auch noch dramatisieren.
    »Das hat nichts zu sagen«, sagte Berndorf. »Steinbronner und mich verbindet schon lange eine tiefe gegenseitige Abneigung. Ihm ist einmal ein Schlagstock aus der Hand gefallen. Egal. Kann ich trotzdem mit Ihrer Hilfe rechnen?«
    »Was fragen Sie? Ich sagte Ihnen doch, dass Sie mich morgen anrufen sollen.«
    »Bis dann.« Berndorf legte auf. Die junge Dame klingt etwas harsch, dachte er noch.
    Tamar blieb einen Augenblick beim Telefon stehen. Ich hoffe nur, dachte sie, dass der alte Mann weiß, welches Spiel er spielt. Im Übrigen hatte sie gerade anderes zu klären. Entschlossen ging sie in die Küche zurück und fasste Oberarzt Bastian Burgmair ins Auge, der ganz offenkundig die einfachste Sache der Welt nicht begreifen wollte.
    »Noch einmal«, sagte sie, »ich will nicht mehr mit dir schlafen und ich werde nicht mehr mit dir schlafen, und ich ziehe hier aus. Punkt. Aus. Schluss. Das ist so, weil es so ist. Es gibt keine Begründung. Keine, die dich etwas angeht oder die du verstehen würdest.« Es tut mir nicht einmal Leid, dachte sie dann.

    »Aber«, sagte Bastian Burgmair und sah in seiner Kochschürze noch unglücklicher aus, als er es ohnehin schon war. In der Bratröhre musste das schottische Hochland-Moorhuhn nun gleich so weit sein, Moorhuhn an Wildreis hatte die besondere Überraschung für diesen Abend sein sollen, aber aus irgendeinem Grund explodierte Tamar, kaum dass er »an Wildreis« gesagt hatte.
    »Und dein schottisches Hochland-Moorhuhn kannst du dir geschmort in den Hintern stecken«, fauchte sie. Sie drehte sich auf der Stelle um, ging in ihr Zimmer, holte ihre beiden Koffer aus dem Schrank und begann zu packen.
     
    Der »Hirsch« nannte sich Sporthotel und lag am Traifelberg oberhalb der Honauer Steige. In Wintern mit genug Schnee führten von dort gespurte Loipen durch die Trockentäler und über die Wacholderheiden der Schwäbischen Alb. Weiter westlich, auf der anderen Seite des tief in den Albtrauf eingeschnittenen Echaztales, klammerte sich Schloss Lichtenstein an einen Jurafelsen. Nicht viel älter als 150 Jahre und so etwas wie das württembergische Neuschwanstein, eines im Bausparformat. Als Junge war Berndorf einmal dort gewesen, und hauptsächlich war ihm das Bild eines Armbrustschützen in Erinnerung geblieben, der immer auf den Besucher zu zielen schien, gleich, aus welchem Blickwinkel ihn dieser auch betrachtete.
    Noch in Tübingen hatte Berndorf den Verkehrsfunk abgehört. Er hatte keine Lust gehabt, in die Staus zu geraten, die Steinbronners Kontrollen angerichtet hatten. Also war er von Tübingen nach Reutlingen gefahren und von dort nach Süden auf die Alb abgebogen. Ohnehin war das der direkte Weg ins Lautertal. Die Honauer Steige führte in Serpentinen aufwärts. Kahler Wald säumte den Aufstieg. Dann lag die Albhochfläche vor ihm, weit und schmutzigweiß in der Dämmerung.
    Als er das Hinweisschild des »Hirschen« sah, folgte er ihm
kurz entschlossen. Er war müde und hungrig. Außerdem musste Jonas Seiffert in den Siebzigern sein. Er konnte ihn nicht noch am späten Abend überfallen.
    Das Hotel war ein lang gestreckter Fachwerkbau. Berndorf klingelte an der Rezeption, schließlich erschien eine jüngere Frau mit flinken und neugierigen Augen. Obwohl der Regen der letzten Tage den Loipen zugesetzt hatte und in dem Hotel kaum noch Gäste waren, tat sie so, als müsse sie erst noch suchen, ob überhaupt ein Zimmer frei sei. Schließlich fand sie ein

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