Der Schatten des Schwans
er, »zu Ihnen wollte ich.« Er brauche dringend noch einige weitere Vergrößerungen und Abzüge. »Ich weiß, dass es eine ziemliche Zumutung ist – aber könnte mir das jemand im Fotolabor machen, noch heute Abend?«
Mit einer angedeuteten Geste griff er nach seiner Brieftasche. »Am Abend ist das im Betrieb nicht so günstig«, sagte der Fotograf. »Aber wenn Sie mitkommen wollen, mache ich Ihnen das schnell bei mir zu Hause, ich hab’ selbst eine Dunkelkammer.«
Der Fotograf fuhr einen klapprigen weißen Opel, Berndorf nahm auf dem Beifahrersitz Platz.
Streifenwagen mit eingeschaltetem Martinshorn und Blaulicht kamen ihnen entgegen. »Ich will Ihnen ja nicht zu nahe treten«, sagte der Fotograf, »aber das geht schon den ganzen Tag so, wie angestochen. Sind Sie ganz sicher, dass das etwas bringt?« Was fragst du ausgerechnet mich, dachte Berndorf. »Sie suchen diesen entsprungenen Strafgefangenen«, sagte er dann. »Thalmann heißt der Mann. Wenn ihn meine Kollegen hätten, würden sie schon damit aufhören.«
»Ich stelle mir vor«, sagte der Fotograf, »die würden mich suchen. Überall in der Stadt wäre das Tatütata zu hören, und ich wüsste, die sind hinter mir her. Ganz eigentümlich würde es mir da.«
»Ja«, antwortete Berndorf, »das wird einem wohl auch in Wirklichkeit so gehen.«
»Haben Sie eigentlich keine Bedenken«, fuhr der Fotograf fort, »dass so ein Mann dann durchdreht? Womöglich eine Geisel nimmt?«
»Beschreien Sie es nicht«, sagte Berndorf.
Der Fotograf wohnte in einem Neubaugebiet im Osten der Altstadt. In einer Vierzimmerwohnung empfing sie eine junge, fröhliche Frau mit einem kleinen, dicken und vergnügten Kind. Beide schienen sich an Berndorf nicht weiter zu stören. Berndorf holte die Fotografien hervor – das Funkbild des jungen Leutnants Twienholt, die Aufnahme Hendriksens und das Bild aus dem Tübinger Universitätslabor.
»Das da ist doch dieser Prof, nicht wahr, von dem ich Ihnen vorgestern die Abzüge gemacht habe?«, fragte der Fotograf und deutete auf das Hendriksen-Porträt.
Berndorf nickt. Dann hob er das Bild aus Tübingen hoch. »Das da ist er auch. Leider ist das Gesicht verwischt. Könnten Sie versuchen, etwas von den Gesichtszügen herauszuholen?«
»Verwackelt ist verwackelt«, sagte der Fotograf. »Schau’n wir mal, wie die Vergrößerung herauskommt.«
Berndorf stand neben ihm in der Dunkelkammer, als der junge Mann den ersten Abzug aus dem Entwicklerbad herausfischte und gegen eine beleuchtete Platte hielt.
Die Gesichtszüge waren noch immer verwischt. Aber überraschend klar und plastisch sprang vor dem dunklen Hintergrund das selbstbewusste, kantige Profil des Mannes ins Auge, der damals ärgerlich den Kopf weggedreht hatte. »Es ist wirklich wieder dieser Prof«, sagte der Fotograf und grinste. »Zur Not reicht es für ein Fahndungsfoto.«
»Ja«, antwortete Berndorf, »er ist es. Er war dabei. Er wird es nicht mehr abstreiten können.«
Nach anderthalb Stunden verließ der Kommissar die Wohnung mit einem Umschlag, in dem ein dicker Stapel von Bildern im A4-Format steckte.
Noch aus der Wohnung des jungen Mannes hatte Berndorf bei der Taxi-Zentrale angerufen und sich einen Wagen kommen lassen. Es war gegen 22 Uhr, als er in das Taxi stieg. Er ließ sich zum Hauptbahnhof bringen und holte seine Reisetasche. Dann fuhr er mit dem Bus zu dem neuen, viel zu großen Ulmer Maritim-Hotel.
An der Rezeption begrüßte ihn ein für Ulmer Verhältnisse ausnehmend höflicher Portier. Selbstverständlich sei noch ein Zimmer zu haben, und selbstverständlich gebe es auch einen Arbeitsraum im Haus: »Wenn Sie es wünschen, können wir Ihnen auch einen Personalcomputer zur Verfügung stellen.«
Berndorf brachte seine Reisetasche in sein Zimmer. Dann ließ er sich eine doppelte Portion Kaffee in das Arbeitszimmer bringen. Nachdem es ihm gelungen war, das Schreibprogramm
des Computers zu starten, machte er sich an die Arbeit. Es war fast Mitternacht, als er seinen Bericht beendet hatte. Er ließ fünf Kopien ausdrucken. Zusammen mit jeweils einem Satz der Abzüge, die ihm der Fotograf gemacht hatte, steckte er die Kopien in DIN-A4-Umschläge, die neben dem hoteleigenen Briefpapier bereitlagen. Dann adressierte er die Umschläge; die Staatsanwälte Desarts und Heuchert sollten je einen Bericht erhalten, ebenso Rauwolf in Görlitz und anstandshalber auch der Journalist Frentzel, auf die Gefahr hin, dass das Material für ihn zu brisant sein
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