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Der Schatten erhebt sich

Der Schatten erhebt sich

Titel: Der Schatten erhebt sich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Jordan
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nur daran erinnern, es getan zu haben, aber nicht, wie. Wenigstens hielt er jetzt Saidin fest im Griff. So würde sie ihn nicht noch einmal überraschen. Das Verderben, das ihm mit seiner süßlichen Fäule den Magen herumdrehte, war gar nichts; Saidin war das Leben, vielleicht auf mehr als nur eine Weise.
    Ein plötzlicher Gedanke kochte in ihm hoch: die Aiel! Selbst einem Grauen Mann hätte es unmöglich sein sollen, sich durch eine Tür zu schleichen, die von einem halben Dutzend Aiel bewacht wurde.
    »Was hast du mit ihnen gemacht?« krächzte er, als er sich in Richtung Tür zurückzog, ohne sie dabei aus den Augen zu lassen. Falls sie die Macht einsetzte, würde er vielleicht irgendein Zeichen entdecken, das ihn rechtzeitig warnte. »Was hast du mit den Aiel dort draußen gemacht?« »Nichts«, antwortete sie kühl. »Geh nicht dort hinaus. Es mag nur ein Versuch sein, wie verwundbar du bist, aber selbst das könnte dich umbringen, falls du dich wie ein Narr verhältst.« Er warf den linken Türflügel auf und erblickte eine Szene reinen Grauens.

KAPITEL
10

    Widerstand
    Z u Rands Füßen lagen tote Aiel und zwischen ihnen die Leichen dreier ganz durchschnittlich aussehender Männer mit unauffälligen Mänteln und Hosen. Total unauffällige Männer, und doch waren sechs Aiel, die gesamte Türwache, von ihnen getötet worden, ein paar davon offensichtlich, bevor sie überhaupt bemerkt hatten, was los war, und jeder dieser unauffälligen Männer war von mindestens zwei Aielspeeren durchbohrt worden.
    Das war aber keineswegs alles. Sobald er die Tür aufzog, schlug eine Welle des Kampflärmes über ihn hinweg: Schreie, Heulen, das Dröhnen von Stahl auf Stahl unter den mächtigen Sandsteinsäulen. Die Verteidiger im Vorraum kämpften unter den vergoldeten Lampen um ihr blankes Leben gegen massige Gestalten in schwarzen Rüstungen, die sie um ein Beträchtliches überragten, Gestalten wie riesige Männer, doch mit Köpfen und Gesichtern, die von Hörnern und Federn verunstaltet waren, die Schnäbel oder Tierschnauzen aufwiesen, wo sich Mund und Nase befinden sollten. Trollocs. Man sah bei ihnen ebenso Pranken oder Hufe wie menschliche Füße mit Stiefeln daran. Sie hieben Männer mit ihren eigenartigen Dornenäxten nieder und mit Speeren, an denen sich Widerhaken befanden, oder mit Sichelschwertern, die sich seltsam nach der falschen Seite krümmten. Und unter ihnen war ein Myrddraal, ein Mann mit wurmblasser Haut unter schwarzem Panzer, der mit seinen geschmeidigen Bewegungen wie der leibhaftige Tod wirkte, dessen Skelett mit blutlosem Fleisch umhüllt war.
    Irgendwo im Stein erklang ein Alarmgong, doch der dröhnende Klang erstarb mit erschreckender, tödlicher Plötzlichkeit. Dann nahm ein anderer den Alarmruf wieder auf und noch einer, und ihr Messingglockengeläut erschütterte den Stein.
    Die Verteidiger kämpften verbissen, und sie waren den Trollocs gegenüber in der Überzahl, doch es lagen mehr Menschen am Boden als Trollocs. In dem Moment, als Rand das alles erblickte, riß der Myrddraal gerade dem tairenischen Hauptmann mit einer bloßen Hand die eine Gesichtshälfte ab, während er mit der anderen Hand eine tödlichschwarze Klinge durch den Hals eines der Verteidiger stieß. Wie eine Schlange wand er sich zwischen den Speerstichen der Verteidiger hindurch. Die Verteidiger standen einem Gegner gegenüber, den sie bisher für ein Märchenwesen gehalten hatten, einen Kinderschreck, und sie waren dementsprechend mit ihren Nerven am Ende. Ein Mann, der seinen Helm verloren hatte, warf seinen Speer zu Boden und versuchte zu fliehen. Sein Kopf wurde durch die schwere Axt eines Trollocs wie eine reife Melone zerteilt. Wieder ein anderer Mann sah den Myrddraal an und rannte schreiend davon. Der Myrddraal eilte geschmeidig hinterher, um ihn abzufangen. Noch einen winzigen Augenblick, und die Menschen würden alle vor Entsetzen davonlaufen.
    »Blasser!« schrie Rand. »Versuch's mal mit mir, Blasser!« Der Myrddraal blieb stehen, als habe er sich nie bewegt. Sein bleiches, augenloses Gesicht wandte sich ihm zu. Bei diesem Blick überlief Rand die Angst, doch sie glitt lediglich über die Blase der kalten Ruhe, die ihn einhüllte, wenn er Saidin ergriffen hatte. In den Grenzlanden sagte man: »Der Blick des Augenlosen bedeutet Angst.« Einst hatte auch er geglaubt, daß die Blassen auf Schatten ritten wie auf Pferden und verschwanden, wenn sie sich zur Seite wandten. Diese alten Vorurteile waren gar nicht so weit

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