Der Schatten erhebt sich
gegenüber schwach wurde. Er zögerte, als er die Stränge der Macht kontrollierte, die sie festhielten. Falls er sie abnabelte und einfach dort hängen ließ, würde sie vielleicht den halben Stein einreißen, wenn sie sich mit Gewalt zu befreien suchte - falls sie nicht von einem vorbeikommenden Trolloc getötet würde, der glaubte, sie sei eine aus dem Stein. Es hätte ihn eigentlich nicht beunruhigen sollen, wenn eine der Verlorenen starb, aber der Gedanke daran, eine Frau oder überhaupt irgend jemanden hilflos den Trollocs zu überlassen, stieß ihn ab. Ein Blick auf ihre gelassene Miene allerdings ließ diesen Gedanken schnell verfliegen. Niemand und nichts im Stein würde ihr etwas antun, solange sie die Macht benutzen konnte. Wenn er Moiraine aufspüren könnte, um sie abzuschirmen...
Noch einmal nahm ihm Lanfear die Entscheidung ab. Das Reißen seiner eigenen Stränge schüttelte ihn kräftig durch, und sie fiel leichtfüßig herunter. Er machte große Augen, als sie von der Wand wegtrat und ruhig ihren Rock glattstrich. »Das kannst du nicht tun«, stotterte er dümmlich, und sie lächelte.
»Ich muß einen Strang nicht sehen, um ihn zu lösen, sobald ich weiß, was und wo es ist. Siehst du, du mußt eben noch viel lernen. Aber so gefällst du mir. Du warst immer zu stur und selbstsicher. Es war immer besser, wenn du dir deiner selbst nicht so sicher warst. Hast du also Callandor vergessen?« Er zögerte noch. Da stand eine der Verlorenen vor ihm.
Und es gab absolut nichts, was er tun konnte. Schließlich drehte er sich um und lief los, Callandor zu holen. Ihr Lachen schien ihm zu folgen.
Diesmal ließ er sich nicht ablenken und versuchte nicht, Trollocs und Myrddraal zu bekämpfen. Er verlangsamte sein wildes Klettern durch den Stein nur, wenn sie sich ihm in den Weg stellten. Dann öffnete sein aus Flammen geschmiedetes Schwert einen Weg für ihn. Er sah Perrin und Faile. Er trug die Axt in der Hand, und sie deckte mit ihren Messern seinen Rücken. Die Trollocs schienen genauso beim Anblick seiner gelben Augen zu zögern wie beim Anblick seiner Axt. Rand ließ sie zurück, ohne sich noch einmal umzublicken. Falls einer der Verlorenen Callandor in die Hände bekam, würde keiner von ihnen mehr die Sonne aufgehen sehen.
Atemlos stürzte er zwischen den mächtigen Säulen des Vorraums hindurch und sprang über die Leichen hinweg, die immer noch dort lagen. Verteidiger und Trollocs lagen da im Tod vereint. Er warf beide Türflügel auf. Das Schwert, Das Kein Schwert War hing in seinem vergoldeten und mit Gemmen besetzten Ständer und leuchtete im Schein der untergehenden Sonne. Es wartete auf ihn.
Jetzt, da er es sah und in Sicherheit wußte, fiel es ihm schwer, es zu berühren. Einmal bisher hatte er Callandor so benützt, wie es eigentlich sein sollte. Nur einmal. Er wußte, was ihn erwartete, wenn er es wieder aufnahm, wenn er es gebrauchte, um viel mehr Energie aus der Wahren Quelle zu schöpfen, als ein Mensch ohne Hilfe fertigbrachte. Es fiel ihm auch ungeheuer schwer, seine rotgoldene Klinge wieder verschwinden zu lassen, und als es geschah, hätte er sie beinahe zurückgeholt.
Er schlurfte zögernd um die Leiche des Grauen Mannes herum und legte seine Hände langsam um den Griff Callandors. Er war kalt, wie ein Kristall, der lange im Dunkeln geruht hatte, aber er war auch nicht so glatt, daß er seinem Griff hätte entschlüpfen können.
Ein Gefühl ließ ihn aufblicken. An der Tür stand zögernd ein Blasser, den augenlosen Blick aus seinem bleichen Gesicht auf Callandor gerichtet.
Rand zog Saidin an sich. Callandor, das Schwert, Das Kein Schwert War, flammte in seinen Händen auf, als enthalte es den Mittagssonnenschein. Die Macht erfüllte ihn, schlug wie mächtiger Donner über ihm zusammen. Das süße Verderben in Saidin durchströmte ihn wie eine schwarze Flut. Geschmolzener Fels pulsierte durch seine Adern. Die Kälte in ihm hätte die Sonne erfrieren lassen können. Er mußte die Macht benützen, oder er würde bersten wie eine überreife Melone.
Der Myrddraal wandte sich zur Flucht, und plötzlich fielen die schwarzen Kleider und der Harnisch leer zu Boden und hinterließen nur in der Luft schwebende ölige Staubteilchen.
Rand war sich selbst nicht einmal im klaren darüber, daß er mit der Macht gearbeitet hatte, bis es vorbei war. Er hätte auch nicht mehr sagen können, was er eigentlich angestellt hatte, und wenn auch sein Leben davon abhinge. Doch nichts konnte sein Leben
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