Der Schatten erhebt sich
Flüssen passiert sei. Aber es war besser, sich nicht darauf zu verlassen, daß auch Rand diese Gerüchte nicht kannte. »Ihr solltet ihn dazu bringen, daß er sich Euch öfters anvertraut. Er braucht einen Zuhörer. Es würde ihm helfen, mit jemandem über alles sprechen zu können, dem er vertraut.« Egwene sah sie von der Seite her an. Sie fühlte sich über solch primitive Methoden nun langsam erhaben. Nun, Moiraine hatte natürlich die Wahrheit gesagt. Der Junge brauchte einen Zuhörer, der seine Last ein wenig erleichterte, indem er eben lauschte und mitredete. Das könnte hilfreich sein.
»Er vertraut sich niemandem an, Moiraine. Er verbirgt seinen Schmerz und hofft, irgendwie mit allem fertigzuwerden, bevor es jemand merkt.« Ärger huschte über Egwenes Gesicht. »Dieser wollköpfige Maulesel!« Moiraine empfand einen Augenblick lang Sympathie. Man konnte von diesem Mädchen nicht erwarten, daß sie damit fertig wurde, wie Rand Arm in Arm mit Elayne spazierenging und sie in irgendwelchen Ecken küßte, wo sie sich ungesehen glaubten. Und Egwene wußte ja noch nicht einmal die Hälfte. Doch das Mitgefühl hielt nicht lange an. Es gab viel zuviel Wichtigeres zu tun, als einem Mädchen zu gestatten, sich selbst zu bedauern, weil sie etwas nicht bekommen konnte, das sowieso nicht für sie bestimmt war.
Elayne und Nynaeve sollten sich mittlerweile auf dem Klipper befinden und waren somit aus dem Weg. Ein Teilergebnis ihrer Seereise könnte auch eine Bestätigung ihres Verdachts in bezug auf die Windsucherinnen sein. Das war aber natürlich nicht sehr wichtig. Im schlimmsten Fall hatten die beiden genug Gold, um ein Schiff zu kaufen und die Besatzung anzuheuern, was durchaus notwendig sein könnte, wenn man den Gerüchten aus Tanchico Glauben schenkte, und es sollte selbst dann noch genug übrig sein, um die Beamten in Tarabon zu kaufen. Thom Merrilins Zimmer stand leer, und ihre Spitzel hatten berichtet, er habe auf dem Weg aus dem Stein heraus etwas von Tanchico vor sich hin gemurmelt. Er würde dafür sorgen, daß sie eine gute Besatzung fänden und die richtigen Beamten bestechen konnten. Der angebliche Plan, Mazrim Taim für die Schwarzen Ajah einzuspannen, war sehr viel wahrscheinlicher als der andere. Ihre Botschaften an die Amyrlin sollten dem allerdings einen Riegel vorgeschoben haben. Die beiden jungen Frauen waren sehr wohl in der Lage, mit einer angeblichen und geheimnisvollen Gefahr in Tanchico fertigzuwerden, und sie hatte sie eine Zeitlang los und auch aus der Umgebung Rands entfernt. Sie bedauerte nur, daß Egwene sich geweigert hatte, mitzugehen. Tar Valon wäre für alle drei das Beste gewesen, aber Tanchico ging auch.
»Wenn wir schon von wollköpfigen Mauleseln sprechen: Habt Ihr immer noch vor, in die Wüste zu gehen?« »Jawohl«, erwiderte das Mädchen mit fester Stimme. Sie sollte besser in der Burg sein und sich weiter ausbilden lassen. Woran wohl Siuan denken mochte? Vielleicht wird sie eines ihrer Sprichwörter über Boote und Fische loslassen, wenn ich sie danach frage.
Nun, wenigstens war auch Egwene damit untergebracht und aus dem Weg, und das Aielmädchen würde schon auf sie aufpassen. Möglicherweise konnten die Weisen Frauen ihr tatsächlich etwas über das Träumen beibringen. Dieser Brief von ihnen war höchst erstaunlich gewesen, obwohl sie es sich nicht leisten konnte, viel von dem darin Enthaltenen zu beherzigen. Doch Egwenes Reise in die Wüste mochte sich auf lange Sicht als sehr nützlich herausstellen.
Der innerste Ring der Tairener machte Platz, und nun standen sie und Egwene in einem ausgesparten Raum direkt vor der großen, leeren Fläche unter der riesigen Kuppel. Hier zeigte sich die Nervosität der Adeligen besonders deutlich. Viele blickten wie schmollende Kinder auf ihre Füße hinunter, und andere starrten einfach ins Leere, bemühten sich, nicht wahrzunehmen, wo sie sich befanden. Hier hatte Callandor in der Luft geschwebt, bevor Rand das Schwert an sich nahm. Hier, unter dieser gleichen Kuppel, mehr als dreitausend Jahre lang von keiner Hand berührt und von keiner Hand berührbar, außer der des Wiedergeborenen Drachen. Die Tairener gaben nicht gern zu, daß dieses Herz des Steins überhaupt existierte.
»Arme Frau«, murmelte Egwene leise.
Moiraine folgte dem Blick des Mädchens. Hochlady Alteima, bereits von Kopf bis Fuß in leuchtendes Weiß gekleidet, wie es einer tairenischen Witwe zustand, auch wenn der Ehemann noch nicht den letzten Atemzug getan
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