Der Schatten erhebt sich
einander wild, jetzt, da sie ihre Reiter los waren.
»Du weißt wirklich nicht, was du da tust, oder?« protestierte Egwene. »Moiraine, haltet ihn doch zurück. Wir können auch nach Rhuidean reiten. Warum laßt Ihr ihn weitermachen? Warum sagt Ihr nichts?« »Was würdet Ihr denn vorschlagen, das ich tun soll?« fragte die Aes Sedai trocken. »Ich kann ihn wohl kaum am Ohr packen und wegziehen. Es könnte sein, daß wir nun bald erleben werden, wie nützlich das Träumen wirklich ist.« »Träumen?« fragte Egwene in scharfem Ton. »Was hat das Träumen mit dem hier zu tun?« »Würdet Ihr beiden bitte ruhig sein?« Rand gab sich Mühe, die Worte geduldig klingen zu lassen. »Ich versuche, mich zu entscheiden.« Egwene starrte ihn verärgert an, während Moiraine überhaupt keine Gefühlsregung zeigte. Doch sie sah konzentriert zu.
»Müssen wir es wirklich so machen?« fragte Mat noch einmal. »Was hast du gegen das Reiten?« Rand sah ihn nur an und darauf zuckte er bedrückt die Achseln. »Ach, seng mich. Wenn du versuchst, dich zu entscheiden...« Er nahm die Zügel beider Pferde in die eine Hand und holte mit der anderen eine Münze aus der Manteltasche, eine Goldmark aus Tar Valon. Er seufzte: »Es ist natürlich die gleiche Münze. Wie könnte es auch anders sein.« Er ließ die Münze über seine Fingerrücken rollen. »Ich... ich habe manchmal Glück, Rand. Laß mein Glück entscheiden. Kopf - das Dreieck, das auf deine rechte Seite zeigt. Flamme - die andere Richtung. Was meinst du?« »Das ist doch einfach lächerlich«, begann Egwene, doch Moiraine brachte sie durch eine kurze Berührung ihres Arms zum Schweigen.
Rand nickte. »Warum nicht?« Egwene knurrte etwas in sich hinein. Alles, was er verstand, waren die Worte ›Männer‹ und ›kleine Jungen‹, aber es klang nicht wie ein Kompliment.
Die Münze flog von Mats Daumen aus in die Luft. Sie glänzte matt im Sonnenschein. Auf dem höchsten Punkt der Flugkurve schnappte Mat sie sich und klatschte sie auf den anderen Handrücken. Dann zögerte er. »Es ist schon verflucht leichtsinnig, sich auf einen Münzwurf zu verlassen, Rand.« Rand legte seine Hand auf eines der Symbole, ohne dabei hinzuschauen. »Dieses«, sagte er. »Du hast dieses hier gewählt.« Mat spähte die Münze an und blinzelte überrascht. »Du hast recht. Woher weißt du das?« »Früher oder später muß das auch bei mir so funktionieren.« Keiner von ihnen verstand ihn, das konnte er spüren, aber es spielte auch keine Rolle. Er hob die Hand und sah das Zeichen an, das Mat und er erwählt hatten. Das Dreieck zeigte nach links. Die Sonne war bereits ein Stück des Zenits. Er mußte alles richtig machen. Ein Fehler, und sie würden Zeit verlieren, anstatt sie zu gewinnen. Das wäre das schlimmste Ergebnis. Hoffentlich.
Er stand auf, kramte in seinem Beutel herum und zog den harten Gegenstand heraus, eine kleine, dunkelgrüne, glänzende Steinplastik, die genau in seine Hand paßte und einen Mann mit rundem Gesicht und rundem Körper zeigte, der mit übergeschlagenen Beinen und einem Schwert auf den Knien dasaß. Er rieb mit dem Daumen über den kahlen Kopf der Figur. »Alle sollen sich hier auf engem Raum versammeln. Rhuarc, laß sie die Tiere auch alle heraufbringen. Jeder muß sich so nahe bei mir befinden wie möglich.« »Warum?« fragte der Aielmann.
»Wir gehen nach Rhuidean.« Rand stellte die kleine Figur auf seine Handfläche und bückte sich, um den Portalstein zu berühren. »Nach Rhuidean. Jetzt gleich.« Rhuarc warf ihm einen langen, ausdruckslosen Blick zu, richtete sich dann auf und rief die anderen Aiel.
Moiraine trat einen Schritt näher heran. »Was ist das?« fragte sie neugierig. »Ein Angreal«, sagte Rand und drehte ihn auf seiner Hand um. »Einer, der nur bei Männern funktioniert. Ich fand ihn in der Großen Sammlung, als ich nach dieser Tür suchte. Des Schwertes wegen habe ich ihn aufgehoben, und dann wußte ich Bescheid. Falls Ihr euch also gefragt habe, wo ich die Macht hernehme, um uns alle - die Aiel, die Packtiere, jeden und alles - durchzutransportieren, dann habt Ihr hier die Antwort.« »Rand«, sagte Egwene ängstlich, »ich bin ja sicher, daß du glaubst, das Richtige zu tun, aber bist du dir selbst sicher? Glaubst du wirklich, der Angreal sei stark genug? Ich weiß noch nicht einmal, ob es wirklich einer ist. Ich glaube dir, wenn du das sagst, aber die Angreal unterscheiden sich gewaltig. Jedenfalls diejenigen, die wir Frauen benützen.
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