Der Schatten erhebt sich
nacheinander zu dieser Hügelgruppe aus. Sie liefen mit leichten Schritten. Ein paar zogen ihre Schleier vor die Gesichter für den Fall der Fälle. Der Rest wartete, stand herum oder hockte sich neben die beladenen Maulesel.
Sie repräsentierten beinahe jeden der Clans, außer natürlich den der Jenn Aiel. Rand wurde nicht schlau daraus, ob die Jenn nun wirklich existierten oder nicht. Beides konnte der Fall sein, da die Aiel sie gelegentlich, wenn auch nicht häufig, erwähnten. Es waren hier sogar Clans vertreten, die Blutfehden miteinander austrugen, und andere, die sich oft gegenseitig bekämpften. Soviel hatte er über sie erfahren. Nicht zum erstenmal fragte er sich, was sie bisher zusammengehalten hatte. Hatte es lediglich mit ihren Prophezeiungen vom Fall des Steins zu tun und ihrer Suche nach dem, Der Mit Der Morgendämmerung Kommt?
»Mehr als das«, sagte Rhuarc, und Rand wurde bewußt, daß er seine Frage laut ausgesprochen hatte. »Die Prophezeiung brachte uns über die Drachenmauer, und der Name, den man nicht ausspricht, lockte uns zum Stein von Tear.« Der Name, den er meinte, war ›Das Volk des Drachen‹, eine geheime Bezeichnung für die Aiel. Nur Clanhäuptlinge und Weise Frauen kannten sie und gebrauchten sie selten und ausschließlich untereinander. »Was den Rest angeht? Nun, natürlich darf keiner das Blut eines anderen aus der gleichen Gemeinschaft vergießen, aber Shaarad und Goshien, Taardad und Nakai und Shaido miteinander zu vermischen... Selbst ich hätte vielleicht den Tanz der Speere mit den Shaido getanzt, wenn nicht die Weisen Frauen jeden einen Wassereid hätten schwören lassen, der die Drachenmauer überquert, daß er auf dieser Seite der Berge alle anderen Aiel wie einen Bruder oder eine Schwester aus der gleichen Gemeinschaft behandeln werde. Selbst die hinterhältigen Shaido... « Er zuckte leicht die Achseln. »Seht Ihr? Es ist nicht leicht, nicht einmal für mich.« »Diese Shaido sind Eure Feinde?« Rand stolperte etwas über den Namen. Im Stein hatte man die Aiel nur nach Gemeinschaften aufgeteilt und nicht nach Clans.
»Wir haben Blutfehden vermieden«, sagte Rhuarc, »aber die Taardad und die Shaido haben sich noch niemals freundlich gegenübergestanden. Die Septimen überfallen sich manchmal gegenseitig und stehlen Ziegen oder Rinder. Aber die Eide haben uns alle zurückgehalten, trotz dreier Blutfehden und einem Dutzend alter Gründe, aus denen sich die Clans oder Septimen gegenseitig hassen. Und nun hilft es uns, daß wir in Richtung Rhuidean ziehen, obwohl uns einige schon früher verlassen werden. Niemand darf das Blut eines Aiel vergießen, der nach Rhuidean zieht oder von dort her kommt.« Der Aielmann blickte mit völlig ausdruckslosem Gesicht zu Rand auf. »Vielleicht wird bald keiner von uns mehr das Blut des anderen vergießen.« Es war unmöglich, festzustellen, ob er diese Aussicht als angenehm betrachtete oder nicht.
Eine der Töchter des Speers stand auf einem Hügel, winkte mit beiden Armen und stieß eine Art klagendes Heulen aus, das weithin hallte.
»Sie haben Eure Steinsäule gefunden, wie es scheint«, sagte Rhuarc. Moiraine straffte ihre Zügel und sah Rand ruhig an, als der an ihr vorbeiritt und Jeade'en mit den Fersen zum Galopp antrieb. Egwene lenkte ihre Stute zu Mat hin, beugte sich aus dem Sattel, ergriff mit einer Hand Mats Sattelhorn und unterhielt sich leise mit ihm. Sie schien sich zu bemühen, ihn dazu zu bringen, daß er ihr etwas verriet oder etwas zugab, und seinen Gesten nach war Mat entweder vollkommen unschuldig, oder er log wie gedruckt.
Rand sprang aus dem Sattel und kletterte hastig den sanften Abhang hinauf, um nachzusehen, was die Tochter -es war übrigens Aviendha - halb im Boden versunken und von dem hohen Gras verdeckt aufgefunden hatte. Es war eine verwitterte, graue Steinsäule, mindestens drei Spannen lang und einen Schritt dick. Fremdartige Symbole bedeckten jeden freiliegenden Fleck, immer umgeben von einer schmalen Reihe von Zeichen, die er für Schrift hielt. Doch hätte er auch die Sprache verstanden, falls es eine war, dann war doch die Schrift, sofern es Schrift war, bis zur Unleserlichkeit verwittert. Die Symbole konnte er ein wenig besser ausmachen. Zumindest einige davon; viele konnten auch durch Regen und Wind in den Stein gegraben worden sein.
Er riß büschelweise Gras aus, um besser sehen zu können, und blickte zu Aviendha auf. Sie hatte die Schufa um ihre Schultern gelegt, das kurzgeschnittene
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