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Der Schatten erhebt sich

Der Schatten erhebt sich

Titel: Der Schatten erhebt sich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Jordan
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waren verrückt; anders konnte sie das nicht sehen. Es wurde immer schlimmer.
    »Es gibt auch ein paar Gai'schain, die ihre Demut in Arroganz umkehren«, sagte Melaine mißbilligend. »Sie glauben, damit Ehre zu gewinnen, daß sie Gehorsam und Unterwürfigkeit auf die Spitze treiben und zu blankem Hohn werden lassen. Das ist wohl etwas Neues und ziemlich närrisch. So etwas gehört nicht zu Ji'e'toh.«
    Bair lachte. Es war ein klangvolles Lachen, ganz unerwartet bei ihrer brüchigen Stimme. »Es hat immer schon Narren gegeben. Als ich ein Mädchen war und die Shaarad und Tomanelle sich gegenseitig jede Nacht Rinder und Ziegen stahlen, wurde eines Nachts Chenda, die Dachherrin des Mainde-Passes, bei einem Überfall von einem jungen Wassersucher der Haido zur Seite gestoßen. Sie kam ins Gekrümmte Tal und verlangte, von dem Jungen zur Gai'schain gemacht zu werden, denn sie gönnte ihm die Ehre nicht, sie im Kampf berührt zu haben, weil sie bei dieser Berührung ein Küchenmesser in der Hand hatte! Ein Küchenmesser! Sie behauptete, auch das sei eine Waffe, als sei sie eine Tochter des Speers! Der Junge hatte keine andere Wahl, als ihr Verlangen zu erfüllen, obwohl man ihn ganz schön auslachte. Man schickt keine Dachherrin barfuß in ihre Festung zurück. Bevor das Jahr und der Tag vorüber waren, tauschten die Haido-Septime und die Jenda-Septime die Speere und der Junge fand sich als Ehemann von Chendas ältester Tochter wieder. Und seine Zweitmutter war immer noch seine Gai'schain! Er versuchte, sie als Teil seines Brautgeschenkes seiner Frau zu übergeben, doch beide Frauen behaupteten, er wolle sie ihrer Ehre berauben. Er mußte fast noch seine eigene Frau zur Gai'schain nehmen. Fast hätten die Haido und die Jenda deshalb wieder zu den Waffen gegriffen, noch bevor das Toh erfüllt war.« Die Aielfrauen bogen sich vor Lachen. Amys und Melaine mußten sich Tränen aus den Augen wischen.
    Egwene verstand nicht viel von der Geschichte - vor allem nicht, was daran lustig sein sollte -, aber sie brachte ein höfliches Lachen zustande.
    Moiraine stellte ihr Wasser zur Seite und griff nach dem Becher mit Wein. »Ich habe gehört, wie Männer vom Kampf gegen die Aiel erzählten, aber so etwas habe ich noch nie gehört. Vor allem nicht, daß ein Aiel sich ergab, weil er berührt worden war.« »Das ist kein Sich-Ergeben«, sagte Amys entschieden. »Es ist Ji'e'toh.«
    »Niemand würde darum bitten, zum Gai'schain eines Feuchtländers gemacht zu werden«, sagte Melaine. »Ausländer wissen nichts von Ji'e'toh.«
    Die Aielfrauen blickten sich gegenseitig an. Es war ihnen offensichtlich nicht ganz wohl bei dieser Unterhaltung. Warum? fragte sich Egwene. Oh. Für die Aiel war es höchstwahrscheinlich dasselbe, wenn man Ji'e'toh nicht kannte, als wisse man nichts über Manieren und gutes Benehmen und als kenne man kein Ehrgefühl. »Es gibt auch unter uns ehrenwerte Männer und Frauen«, sagte Egwene daraufhin. »Eigentlich die meisten von uns. Wir wissen auch, gut und böse zu unterscheiden.« »Selbstverständlich«, murmelte Bair in einem Tonfall, der ihr zeigte, daß sie es keineswegs für selbstverständlich hielt.
    »Ihr habt mir einen Brief nach Tear geschickt«, sagte Moiraine, »bevor ich überhaupt dort ankam. Ihr habt eine Menge Dinge behauptet, von denen sich einige als wahr herausgestellt haben. Darunter auch, daß ich Euch heute hier antreffen würde - müßte -, und das klang schon beinahe wie ein Befehl. Und doch habt Ihr vorhin gesagt, falls Ihr herkamt‹. Wieviel von dem, was Ihr schriebt, wußtet Ihr wirklich schon vorher?« Amys seufzte und stellte ihren Becher Wein weg. Doch Bair war diejenige, die nun sprach: »Vieles ist unklar, selbst für eine Traumgängerin. Amys und Melaine sind die besten unter uns, aber auch sie können nicht alles vorhersehen, was ist oder was sein kann.« »Selbst in Tel'aran'rhiod ist die Gegenwart viel klarer als die Zukunft«, sagte die Weise Frau mit dem Sonnenhaar. »Was gerade irgendwo geschieht oder beginnt, kann man viel eher erkennen als das, was geschehen wird oder könnte. Wir haben Egwene und Mat Cauthon überhaupt nicht gesehen. Die Chancen, daß der junge Mann, der sich Rand al'Thor nennt, herkommen würde, standen fünfzig zu fünfzig. Falls er aber nicht kommen würde, war er ganz sicher, daß er sterben müßte und die Aiel dazu. Aber er kam, und wenn er Rhuidean überlebt, werden zumindest auch einige Aiel überleben. Soviel wissen wir sicher. Wenn Ihr nicht

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