Der Schatten erhebt sich
hatten, beluden die leeren Wohnwagen. Mit Frauen. Er beobachtete, wie Rhea, seine Tochter, zusammen mit anderen in einen Wagen gestoßen wurde, wo sie von den lachenden Mördern wie Vieh zusammengesperrt wurden. Die letzten seiner Kinder. Elwin war mit zehn verhungert, während Sorelle mit zwanzig am Fieber starb, das sie im Traum vorhergesehen hatte. Jaren stürzte sich vor einem Jahr, erst neunzehn Jahre alt, von einer Klippe, als er herausfand, daß er die Macht gebrauchen konnte. Und heute morgen Marind.
Er hätte am liebsten geschrien. Er wollte hinausstürmen und sie davon abhalten, sein letztes Kind zu rauben. Sie irgendwie aufhalten. Und wenn er wirklich dort hinausstürmte? Dann würden sie ihn töten und Rhea trotzdem entführen. Dann würden sie vielleicht auch noch die Kinder töten. Einige der Körper, die dort in ihrem eigenen Blut lagen, waren klein.
Maigran klammerte sich an ihn, als ahne sie, daß er daran dachte, sie zu verlassen, und Lewin versteifte sich, als wolle er noch fester zupacken, sei aber zu stolz und fühle sich schon zu alt dazu. Adan strich ihnen über das Haar und hielt ihre Gesichter an seinen Mantel gepreßt. Er zwang sich trotzdem zum Zuschauen, bis die Wagen, umgeben von johlenden Reitern, langsam außer Sicht auf die Berge zurumpelten, die den Horizont verstellten.
Erst dann stand er auf und löste den Griff der Kinder sanft. »Wartet hier auf mich«, sagte er zu ihnen. »Wartet, bis ich zurück bin.« Sie klammerten sich aneinander und blickten ihn mit tränenüberströmten, blassen Gesichtern an. Dann nickten sie unsicher.
Er ging zu einer der Leichen hinüber und drehte sie sanft um. Siedre hätte auch schlafen können. Ihr Gesicht erschien ihm genauso wie jeden Morgen, wenn er neben ihr erwachte. Es überraschte ihn immer wieder, wenn er in ihrem rotgoldenen Haar graue Strähnen entdeckte. Sie war seine Liebe, sein Leben, und sie erschien ihm ewig jung und neu. Er bemühte sich, das Blut nicht anzusehen, das den Vorderteil ihres Kleids durchnäßte, oder die klaffende Wunde unter ihrer Brust.
»Was willst du jetzt machen, Adan? Sag es uns! Was?« Er strich Siedre das Haar aus dem Gesicht. Sie wollte immer einen ordentlichen Eindruck machen. Dann stand er auf und wandte sich langsam um. Vor ihm stand eine Gruppe zorniger, verängstigter Männer. Sulwin war ihr Anführer, ein hochgewachsener Mann mit tiefliegenden Augen. Er hatte sich die Haare lang wachsen lassen, Sulwin, als wolle er verbergen, daß er ein Aiel war. Das hatten einige Männer getan. Aber es hatte weder diese Männer noch die davor beeindruckt, als sie das Lager überfallen hatten.
»Ich werde unsere Toten begraben und weiterziehen, Sulwin.« Sein Blick wanderte zu Siedre zurück. »Was sonst?« »Weiterziehen, Adan? Wie können wir weiterziehen? Wir haben keine Pferde. Wir haben fast kein Wasser mehr und keine Lebensmittel. Alles, was uns geblieben ist, sind Wagenladungen voll mit Sachen, die von den Aes Sedai niemals abgeholt werden. Was ist das alles, Adan? Was ist das, wenn wir unsere Leben dafür hergeben sollen, um all das um die halbe Welt zu schleppen? Etwas, das wir uns nicht einmal zu berühren getrauen. Wir können nicht so weitermachen wie bisher!« »Wir können!« schrie Adan. »Wir werden! Wir haben Beine und wir haben starke Rücken. Wenn nötig, ziehen wir selbst die Wagen. Wir werden unsere Pflicht erfüllen, was auch kommt!« Er war überrascht, als ihm bewußt wurde, daß er die geballte Faust gehoben hatte. Die Faust! Er zitterte, als er sie wieder öffnete und an seiner Seite herabhängen ließ.
Sulwin trat zurück, blieb aber dann doch vor seinen Begleitern stehen. »Nein, Adan. Man erwartet von uns, daß wir einen sicheren Ort finden, und einige von uns haben das auch ernsthaft vor. Mein Großvater hat mir die Geschichten erzählt, die er als Junge hörte, Geschichten von einer Zeit, als wir in Sicherheit lebten und die Menschen zu uns kamen, um uns singen zu hören. Wir wollen einen Ort finden, wo wir sicher sind und wieder singen können.« »Singen?« schimpfte Adan. »Ich habe diese Geschichten auch gehört, daß die Aiel so wundervoll gesungen hätten, aber ihr wißt genauso wenig davon wie ich. Die Lieder sind verloren und die alten Tage sind vergangen. Wir werden unsere Pflicht den Aes Sedai gegenüber nicht aufgeben, um etwas zu suchen, was schon lange und für immer verloren ist.« »Einige von uns werden das aber tun, Adan.« Die anderen hinter Sulwin nickten. »Wir
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