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Der Schatten im Wasser

Der Schatten im Wasser

Titel: Der Schatten im Wasser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Inger Frimansson
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Ihre Hosen waren zerknittert, sie hätte sie vor dem Schlafengehen besser ausziehen sollen. Außerdem fror sie, sodass sich auf ihren Armen eine Gänsehaut bildete.
    Die Bilder der vergangenen Nacht holten sie wieder ein, jedoch ohne ihr direkt Angst einzujagen. Im Gegenteil, jetzt schien es ihr unerklärlich, dass sie dermaßen panisch reagiert hatte. In einem Anflug von Wut musste sie sich unweigerlich schütteln. Wer war es nur, der sich auf so unverschämte Weise beharrlich Zutritt zu ihrem Garten verschaffte? Sie hätte bleiben und den Betreffenden zur Rede stellen, nicht einfach fliehen sollen. Sich nicht von einem kranken oder verrückten Typen aus ihrem eigenen Haus vertreiben lassen. Doch so abgebrüht war sie in der vergangenen Nacht wahrhaftig nicht gewesen. Aber bei Tageslicht erschien alles immer viel leichter.
    Der Vogel hatte sich auf der Lehne des Stuhls niedergelassen. Er stand auf einem Bein und hatte das andere hochgezogen, was darauf hindeutete, dass es ihm gut ging.
    »Du musst eine Weile hier bleiben«, sagte sie leise. »Aber danach fahren wir nach Hause. Du musst jetzt hier bleiben und darfst keinen Unsinn machen. Sonst wird Hans Peter sauer. Und außerdem hat die Putzfrau dann mehr zu tun.«
    Der Vogel legte den Kopf schräg und beobachtete sie. Sie stellte fest, dass er ein paar Kleckse auf dem Boden hinterlassen hatte. Sie nahm ein Papiertaschentuch und wischte sie auf. Erhob scherzhaft den Finger:
    »Ich hab doch gesagt, dass du keinen Dreck machen sollst!«
    Langsam schob sie die Tür zum Portiertresen auf. Sie konnte Hans Peters Rücken erkennen und sehen, wie er verschiedene Papiere sortierte. Eine Frau und ein Mann waren damit beschäftigt, ihre Reisetaschen nach draußen zu tragen.
    »Pssst!«, flüsterte sie.
    Als er sich umwandte, wirkte er müde. Das Licht fiel auf sein Gesicht und ließ seine Hautfalten und Unebenheiten scharfe Konturen annehmen. Die dünne Haut unter seinen Augen schimmerte violett. Sie bekam ein schlechtes Gewissen.
    »Kann ich herauskommen?«, fragte sie.
    Er nickte.
    »Ja, klar. Nimm dir etwas vom Frühstücksbüfett, du weißt ja, wo es steht.«
    »Danke.« Sie schob sich an ihm vorbei und umarmte ihn dabei kurz. Er nickte abwesend. Sie ging zum Frühstücksraum. Mehrere Gäste saßen an den Tischen, und sie schnappte Gesprächsfetzen sowohl in Englisch als auch Französisch auf.
    »Good morning«, sagte sie und wurde von allen mit einem freundlichen Lächeln begrüßt.
    Britta Santesson, die Mutter des Hotelbesitzers, die schon lange das Rentenalter erreicht hatte, kam mit einem Brot heraus, das sie in ein Handtuch eingewickelt hatte. Sie trug es wie ein Kleinkind. Es roch unglaublich frisch. Als sie Justine erblickte, kam sie zu ihr und begrüßte sie. Sie hatten sich schon mehrmals zuvor getroffen, und Justine hatte sie von Beginn an gemocht. An diesem Morgen schien sie jedoch eigentümlich bedrückt.
    »Wie geht’s?«, fragte Justine mit leiser Stimme.
    Britta Santesson machte eine abwehrende Geste.
    »Bitte nehmen Sie doch ein wenig von dem Brot, es ist frisch gebacken.«
    »Ich weiß, dass es ausgesprochen lecker ist.«
    Es war offensichtlich, dass die ältere Dame nicht über ihre Sorgen sprechen wollte.
    »Nun hat der Herbst endgültig Einzug gehalten«, sagte sie stattdessen. »Wissen Sie, ich finde es ganz angenehm. Ich mag die Wärme nicht, aber das wagt man nach so einem Sommer ja kaum zu sagen. Ich kann jedenfalls die Rentner, die sich nach Spanien absetzen, nicht verstehen.«
    »Sie wohnen dort vielleicht nur den Winter über. Um dem Schnee zu entfliehen, meine ich.« Justine schnitt ein paar Scheiben Käse ab und legte sie auf ihre Scheibe Brot. »Regnet es eigentlich?«, fragte sie.
    »Vorhin kam ein Schauer runter, aber jetzt hat es offensichtlich wieder aufgehört.«
    Justine strich sich über die Arme und zitterte ein wenig.
    »Dass sich das Wetter so abrupt ändern kann. Es ist doch noch gar nicht lange her, dass wir diese Hitzewelle hatten.«
    »Sind Sie gekommen, um Ihren Mann abzuholen?«, fragte Britta Santesson.
    »Es ist ehrlich gesagt so, dass ich hier bei ihm geschlafen habe. In manchen Nächten verspüre ich eine solche Sehnsucht, dass ich einfach das Auto nehmen und herfahren muss.«
    Britta Santesson lächelte milde.
    »Manchmal ist es schön, einen Mann zu haben, neben dem man einschlafen kann.«
    »Ja, das stimmt.«
    »Tja, bei mir ist das alles schon eine Weile her.«
    »Ja?«, fragte sie mit teilnahmsvoller

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